Was soll das Grinsen?

Lisa stieß Liams Tür auf.

„Du benimmst dich komisch“, sagte sie und trat ein, ohne auf eine Einladung zu warten. „Was ist denn los?“

Liam stand mit dem Rücken zu ihr vor dem Spiegel. Einen Moment lang reagierte er nicht auf sie. Derweil erregte sein Spiegelbild ihre Aufmerksamkeit - seine Haltung war locker, fast unnatürlich entspannt, und ein selbstsicheres Grinsen umspielte seine Lippen. Es war ein Anblick, den sie von ihrem Zwillingsbruder nicht gewohnt war.

„Nichts“, sagte er schließlich, seine Stimme war sanfter als sonst. Er drehte sich zu ihr um, seine Bewegungen waren langsam und bedächtig. „Ich... gewöhne mich nur ein.“

Lisa runzelte die Stirn. „Eingewöhnen? Du siehst aus, als wärst du von Ryan Gosling oder so besessen. Was soll das Grinsen?“

Liam gluckste, ein tiefer, samtiger Ton, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Vielleicht stelle ich gerade fest, dass dieser Ort doch nicht so schlimm ist, wie wir dachten.“

Sie kniff die Augen zusammen und trat näher heran. „Du hast dich vorhin gegruselt, mehr noch als ich. Erzähl mir nicht, dass du jetzt plötzlich auf diesen ganzen Gothic-Horror-Mist stehst.“

Er legte den Kopf schief und musterte sie auf eine Weise, die sie verlegen machte. Es war nicht das übliche Geschwistergeplänkel oder Gehänsel. Sein Blick fühlte sich... intensiver an, als würde er Schicht um Schicht ihrer Selbstgewissheit abtragen.

„Du verstehst es nicht, oder?“, sagte er, seine Stimme war sanft, aber mit etwas Dunklem durchsetzt. „Dieses Haus... es ist mehr als nur Wände und Fenster. Es ist der genau Ort, an dem wir sein sollen.“

Lisa setzte sich ein Stück von ihm ab, ihr Unbehagen wuchs. „Okay, jetzt machst du mir offiziell Angst. Was ist nur in dich gefahren?“

Liams Lächeln wurde breiter, aber es erreichte seine Augen nicht. „Vielleicht sehe ich die Dinge einfach nur endlich klar. Du solltest es auch mal versuchen.“

Er machte einen Schritt auf sie zu, und sie wich instinktiv zurück: „Liam, du benimmst dich total komisch. Hast du dir den Kopf gestoßen oder so?“

„Komm schon, Lisa“, sagte er, und sein Tonfall wurde sanfter, fast zutraulich. „Sei doch nicht so. Wir haben uns immer nahe gestanden, nicht wahr?“

Seine Worte lösten den Fluchtinstinkt in ihr aus. Er war ihr zu nahe, seine Anwesenheit war auf eine Weise überwältigend, die sich überhaupt nicht nach ihrem Zwillingsbruder anfühlte. Sie versuchte, um ihn herum und von ihm weg zu kommen, aber seine Hand schoss nach vorne und packte ihr Handgelenk.

„Bitte. Bleib eine Weile“, sagte er, sein Griff war fest, aber nicht schmerzhaft. Seine Stimme war tief, fast hypnotisch. Es wird dir gefallen.“

Lisa zerrte an ihrem Arm, aber er ließ sie nicht gehen. „Liam, lass mich los. Das ist nicht lustig.“

Sein Lächeln schwand und wurde durch etwas Schärferes, Intensiveres ersetzt. „Vertraust du mir nicht?“, zischte er, und seine Stimme wurde fast zu einem Flüstern.

Lisas Herz pochte in ihrer Brust. Sie suchte in seinem Gesicht nach einem Anzeichen, dass er noch immer der Bruder war, den sie kannte, aber sein Gesichtsausdruck war unlesbar, in seinen Augen funkelte etwas Fremdes.

„Ich - natürlich vertraue ich dir“, sagte sie, und ihre Stimme zitterte ungewollt. „Aber du machst mir Angst.“

Sein Griff lockerte sich leicht. Er lehnte sich näher zu ihr, sein Atem strich über ihre Wange, seine Stimme war sanft und fast intim.

„Du brauchst keine Angst zu haben“, murmelte er. „Ich werde mich um dich kümmern. Für immer.“

Die Worte jagten ihr einen Schauer über den Rücken. Sie riss ihren Arm los und machte einen hastigen Schritt zurück. „Was zum Teufel ist los mit dir?“

Er antwortete nicht, sein Blick folgte ihr wie der eines Raubtiers, das seine Beute beobachtete. Einen Moment lang fühlte sich der Raum stickig an, die Luft schwer und aufgeladen, als ob gleich ein Gewitter losbrechen würde.