Versuchskaninchen

Vanessa war sich bewusst, dass sie auf ihre Erfolge stolz sein konnte, und sie zeigte das auch. Selbstbewusst stand sie über dem am Boden Liegenden. Lange hatte sie davon geträumt, sich an dem Typen zu rächen, der ihre Unerfahrenheit und Unbedarftheit ausgenutzt hatte. Und als sie schließlich die Mittel und einen Plan dazu hatte, setzte sie diesen zielstrebig um. Um ihren Sieg vollends auszukosten, wollte sie nun auch ganz sicher sein, dass er verstand, was sie ihm angetan hatte.

"Das Produkt meiner Forschung findest du hier in diesen Fläschchen. Die Wirkstoffe sind exakt auf den weiblichen Organismus abgestimmt, um dessen natürliche Anlagen zu stärken und zu optimieren. Da ich Tierversuche ablehne, musste ich die Effekte zunächst rein theoretisch nachweisen. Ich habe alles genau berechnet. Und als ich das Elixier ausprobierte, konnte ich mir selbst beweisen, dass ich Recht hatte."

Mit einer eleganten Handbewegung präsentierte sie ihre beeindruckende Erscheinung und unterstrich ihre Aussage. Doch war dies noch nicht alles, was sie zu berichten hatte.

"Interessanterweise konnte ich auch weitere Effekte an mir beobachten, die ich zwar vermutet, aber nicht sicher vorherbestimmen konnte: Neben den äußerlichen Veränderungen stellte ich fest, dass auch meine Intelligenz, meine Selbstsicherheit und meine Risikobereitschaft deutlich größer geworden sind. Mein früheres Ich wusste nicht, ob es sich darauf freuen sollte. Nun kann ich sagen, dass ich sehr froh darüber bin und diese Entwicklung als durchweg positiv bewerte."

Ihre Miene nahm einen sarkastischen, beinahe boshaften Zug an, der Marius einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Was sollte da noch kommen? Ihn überfiel eine ungewohnte Unsicherheit und er fing an, sich zu fragen, ob er Reue zeigen sollte, während er ihr weiter zuhörte.

"Meine Berechnungen deuteten im Umkehrschluss darauf hin, dass die speziell auf den weiblichen Organismus abgestimmt sind, auf den männlichen Körper gänzlich andere Auswirkungen haben müssten. Leider konnte ich diese nicht experimentell erforschen - bis jetzt."

Dem unfreiwilligen Versuchskaninchen brach der kalte Schweiß aus. Was hatte sie ihm angetan?

"Du hast mich vergiftet!", keifte er, "ich werde dich anzeigen."

"Ich? Dich vergiftet?" Ihre Stimme klang ebenso spöttisch wie amüsiert. "Ich habe dich zweifach darauf hingewiesen, diese Kiste in Ruhe zu lassen. Ich habe es dir sogar ausdrücklich verboten, den Inhalt anzufassen. Und das ist beweissicher aufgenommen und dokumentiert."

Sie deutete mit dem Finger auf eine Überwachungskamera an der Zimmerdecke, an deren Seite ein rotes Lämpchen blinkte.

"Mich anzeigen? Marius, du wirst nichts anzeigen können, außer vielleicht dein eigenes Unvermögen, Anweisungen zu befolgen", spottete Vanessa und fixierte ihn mit ihren Augen. "Und vergiften würde ich es ohnehin nicht nennen. Eher eine, sagen wir, evolutionäre Anpassung."

Marius versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, während der Raum um ihn herum sich plötzlich bedrohlich zu drehen schien. Sein Verstand raste, während er versuchte zu begreifen, was Vanessa ihm offenbarte. Er starrte fassungslos auf die vielen halbleeren Fläschchen und ihm wurde bewusst, dass er sich in eine Lage manövriert hatte, deren Auswirkungen er nicht ansatzweise überblickte.

"Dann wollen wir doch mal sehen, ob meine Annahmen zutreffen."

Sie beugte sich zu ihm herunter und fasste nach seinem Gürtel.