Der Handwerker

Der Handwerker

Ich habe plötzlich genügend Geld, um nicht mehr arbeiten zu müssen, und widme mich meinem Hobby.

Chapter 1 by Prinz_Heinrich Prinz_Heinrich

Der Handwerker

Ich bin der erste, der zugibt, dass es nur Glück war. Ich hatte schon seit Jahren mit Aktien spekuliert, mit mehr oder minder Erfolg. Doch plötzlich, für mich völlig unerwartet, schossen meine Papiere durch die Decke. Ich starrte ungläubig auf mein Portfolio und irgendwann, als es mir unheimlich wurde, verkaufte ich.

Wie sich herausstellte, war ich gerade noch rechtzeitig ausgestiegen. Wenige Tage später kam der Crash, aber da hatte ich meine Gewinne schon realisiert. Beim Anblick der Zahl auf meinem Kontoauszug wurde mir fast schwindlig. Ich besaß mit Mitte 30 plötzlich genügend Geld, um bis an mein Lebensende nicht mehr arbeiten zu müssen.

Andere wären vielleicht gierig geworden und hätten versucht, noch mehr Reichtum anzuhäufen. Ich war einfach nur zufrieden und richtete mich in meinem neuen Leben ein. Ich kündigte meinen Job, kaufte mir ein altes Häuschen mit großem Grundstück am Waldrand und schrieb ein Buch über meinen Erfolg an der Börse. Es wurde beileibe kein Bestseller, doch die Tantiemen reichten aus, um meinen bescheidenen Lebensunterhalt zu bestreiten, ohne dass ich auf die Rücklagen angewiesen war.

Leider entsprach ein ruhiges Leben auf dem Land ganz und gar nicht den Vorstellungen meiner Frau. Sie wollte, wie sie sagte, etwas vom Leben haben. Sie wollte reisen, shoppen, auf Partys gehen. Wir ließen uns scheiden, einigten uns gütlich, sie bekam die Hälfte. Mir blieb immer noch genug.

Um unsere Tochter Tina kümmerten wir uns gemeinsam. Sie lebte abwechselnd bei meiner Exfrau und bei mir, was ihr ganz gut tat, glaube ich. Mit ihrer Mutter lernte sie die große weite Welt kennen, traf unterschiedlichste Leute. Bei mir kam sie wieder zur Ruhe. Doch nach einiger Zeit in meinem gemütlichen Heim wurde es dem Teenager dann jeweils doch zu langweilig und sie freute sich, wieder raus zu kommen.

Ich vertrieb mir die Zeit, in der ich allein war, damit zu Schreinern. Ich hatte schon immer gerne mit den Händen gearbeitet, aber nur als Hobby. Nun wurde es zu einer Vollzeitbeschäftigung. Ich richtete mir im Schuppen hinter dem Haus eine Werkstatt ein, mit allen wichtigen Werkzeugen, ohne es zu übertreiben. Anstelle mit meinem Geld die teuersten oder neuesten Werkzeuge und Maschinen zu kaufen, beschränkte ich mich auf das Wesentliche und achtete auf Qualität und Funktionalität. Geduldig tastete ich mich über kleinere Aufgaben hin zu größeren Projekten und mit Zeit und viel Übung entwickelte ich mich zu einem ganz passablen Handwerker.

Ein paar Jahre nach unserer Trennung kam meine Ex mit einem Manager zusammen, der ihren Lebensstil teilte – und ab da auch finanzierte. Ich wurde sogar zur Hochzeit eingeladen, sagte aber dankend ab. Dennoch wünschte ich ihnen gerne und ohne irgendwelche Hintergedanken viel Glück und alles Gute für die gemeinsame Zukunft.

Tina war natürlich bei der Trauung und der anschließenden großen Feier dabei. Das nächste Mal, als sie bei mir war, erzählte sie mir ausgiebig davon. Ihre dunkelbraunen Augen leuchteten vor Begeisterung und es war offensichtlich, wie viel Spaß sie gehabt hatte. In diesem Moment fiel mir wieder einmal auf, wie sehr sie ihrer Mutter als junges Mädchen ähnelte, in das ich mich verliebt hatte. Sie lachte das gleiche glockenhelle Lachen und schüttelte dabei ihre lange kastanienbraune Mähne. Die Erinnerung war wie ein Schlag in meinen Magen und ich fragte mich, ob ich die richtigen Entscheidungen getroffen hatte.

Nachts, als Tina im Bett lag, ging ich leise in die Werkstatt. Der Duft von frisch geschnittenen Brettern mischte sich mit dem Geruch von harzigem Kiefernholz und dem würzigen Aroma von Eichenbohlen. Auf der breiten Werkbank lagen meine bevorzugten Handwerkszeuge und als ich den polierten Griff meines Lieblings-Hobels umfasste, war ich sicher: Ja, hier wollte ich sein und mit keinem anderen Ort auf der Welt tauschen.

Es war Tinas letztes Jahr auf dem Gymnasium. Danach ergatterte sie einen Studienplatz. Selbstverständlich unterstützte ich sie dabei, eine kleine Wohnung zu finden, die ich ihr zum achtzehnten Geburtstag schenkte. Das Appartement war groß genug, dass sie eine Kommilitonin einziehen ließ. Die beiden wurden, soweit ich es einschätzen konnte, beste Freundinnen, was mich sehr beruhigte, denn das Studium nahm sie zeitlich sehr in Anspruch, so dass wir uns viel seltener als früher sahen. So war ich sicher, dass sie nicht einsam war und immer jemanden zum Reden hatte.

Auch ihre Chatnachrichten an mich auf dem Handy wurden seltener. Ich sagte mir, dass dies normal und in Ordnung wäre. Sie musste sich abnabeln, ihr eigenes Leben leben. Das gehörte zum Erwachsenwerden dazu. Trotzdem konnte ich nicht vermeiden, manchmal traurig zu sein und mir Sorgen zu machen, wenn ich allzu lange nichts mehr von ihr gehört hatte.

Um so mehr freute ich mich, als das Ping eine neue Nachricht auf dem Mobiltelefon ankündigte. Als ich den Text las, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sie wollte am nächsten Tag vorbeikommen. Außerdem hätte sie eine Überraschung. Ich unterdrückte meine Neugier und den Impuls, sofort nachzufragen, um was es sich handelte. Schließlich wollte ich ihr den Spaß nicht verderben. Stattdessen ging ich in ihr altes Jugendzimmer, machte sauber und bezog das Bett frisch.

Hätte ich geahnt, was auf mich zukam, hätte ich ihr womöglich abgesagt, aber so nahm das Schicksal seinen Lauf.

*

Tags darauf kaufte ich ein, um genügend Vorräte im Haus zu haben und vertrieb mir die Zeit, während ich wartete. Ich freute mich schon darauf, gemeinsam mit Tina zu kochen. Das war eine unserer Lieblingsbeschäftigungen gewesen, als sie noch regelmäßig bei mir wohnte. Der Nachmittag wurde lang und länger. Immer wieder starrte ich auf das Display meines Handys, ob sie Bescheid gab, wann sie ankommen würde, doch es blieb stumm. Irgendwann setzte ich mich auf die überdachte Veranda vor dem Haus und sah die Straße hinab, über die sie ankommen musste.

Ich wohnte am Ende einer Sackgasse, die auf dem Kiesweg zwischen dem Wohngebäude und dem Schuppen endete, wo ich einen Carport errichtet hatte, in dem mein Kombi stand. Mein gemütliches Heim war ein ehemaliges Försterhaus, was man seinem rustikalen Baustil und der mit Holzschindeln verkleideten Fassade deutlich ansah. Es stand weitab der nächsten Siedlung, was einer der Hauptgründe war, weshalb ich mich dafür entschieden hatte, hierher zu ziehen. Die nächsten Gebäude erreichte man erst nach mehreren hundert Metern, wo der schmale Fahrweg in die Landstraße einmündete. Eigentlich fuhr niemand hierher, außer gelegentlich dem Postboten und an Wochenenden manchmal Ausflügler, die einen Spaziergang im Wald machen wollten.

Deshalb war ich auch ziemlich sicher, dass es Tina sein musste, wenn sich ein Fahrzeug näherte. Doch meine Geduld wurde weiter auf die Probe gestellt. Ich beobachtete die kleinen Vögel, die in den alten Obstbäumen auf der anderen Straßenseite an der Rinde herumpickten. Der laue Wind trug den Geruch von grünem Gras und blühenden Blumen heran. Die unvermeidlichen Grillen begannen mit ihrem Abendkonzert. Es dämmerte bereits und erste Sterne funkelten am Firmament, als sich endlich ein Paar Scheinwerfer zeigte, das rasch näherkam. Ich sah ihnen erwartungsvoll entgegen.

Ich nahm an, dass das Fahrzeug vor dem Haupteingang anhalten würde. Überrascht musste ich mit ansehen, wie es ohne langsamer zu werden in den gekiesten Hof einbog. Einen Warnruf ausstoßend sprang ich auf und rechnete damit, das Krachen und Splittern zu hören, wenn der Wagen ungebremst auf meinen Kombi prallte.

Doch die Fahrerin stieg im letzten Moment in die Eisen. Die Räder blockierten auf dem lockeren Splitt und der Wagen schlitterte knirschend auf den Carport zu. Nur Zentimeter vor der Kollision kam er in einer aufgewirbelten grauen Staubwolke zum Stehen.

Ich rannte erschrocken auf den pinkfarbenen Kleinwagen zu, der meiner Erinnerung nach Tinas Freundin und Mitbewohnerin Sarah gehörte. Waren die Bremsen defekt oder hatte sie sonst ein technisches oder gesundheitliches Problem?

Als sich die Fahrertür öffnete und die Innenraumbeleuchtung aufflammte, erkannte ich, dass Tina am Steuer saß. Sie lachte mich an, sah dabei aber irgendwie seltsam aus, so dass ich abrupt stehen blieb und die Stirn runzelte.

Auf der Beifahrerseite stieg Sarah aus und ging mit federnden Schritten um den Wagen herum. Sie war eine beindruckende Erscheinung, ein wenig größer als ich, und ihrem durchtrainierten Körper sah man an, dass sie viel Sport trieb. Ihren blonden Haaren hatte sie einen praktischen Kurzschnitt verpasst. Sie trug ein hellgrünes T-Shirt, enganliegende Jeans und flache Sneakers.

Sie winkte und rief „Hi!, aber anstatt sich mir zu nähern, damit wir uns anständig begrüßen konnten, half sie Tina aus dem Sitz. Der Anblick, der sich mir bot, grub mir noch tiefere Furchen in die Stirn.

Meine Tochter richtete sich unsicher auf. Neben der hochgewachsenen Sarah wirkte sie klein, geradezu kindlich, was durch ihre ein wenig pummelige Figur noch unterstrichen wurde. Ihr normalerweise schimmerndes Kastanienhaar hing ihr unordentlich ins sichtlich gerötete Gesicht. Sie hatte ein knappes, bauchfreies Top mit Spaghettiträgern angezogen, das viel zu viel ihrer leicht gebräunten Haut zeigt. Der für meinen Geschmack ohnehin deutlich zu kurze Rock war nach oben gerutscht, so dass man darunter ansatzweise das Weiß ihres Slips erkennen konnte. Dabei schien sie sich ihres Zustands in keiner Weise bewusst, was mich am meisten schockierte.

„Papa!“, rief sie mit leicht überschlagender Stimme, grinste dümmlich und wollte zu mir laufen, doch ihre Füße knickten in den hochhackigen Schuhen um. Hätte Sarah sie nicht aufgefangen, wäre sie sicherlich auf den Kies gestürzt.

Reflexhaft streckte ich meine Arme aus und machte ein paar Schritte vorwärts. Tina ließ sich derweil von ihrem Missgeschick nicht aufhalten. Mit Hilfe ihrer Freundin kam sie mir entgegen, um mich stürmisch zu umarmen. In ihrem säuerlichen Atem roch ich Wein und noch härteres.

„Überraschung“, babbelte sie mit schwerer Zunge, „ich habe jetzt auch meinen Führerschein und kann Auto fahren.“

Meine Sorge verwandelte sich in rechtschaffenen Ärger. Ich ergriff sie fest an den Oberarmen, hielt sie auf Armeslänge vor mir fest und sah ihr ernst in die leicht umwölkten Augen.

„Du bist “, grollte ich anklagend, „so wirst du deinen Führerschein nicht lange behalten. Es ist unverantwortlich und vor allem sehr gefährlich, dich in diesem Zustand ans Steuer zu setzen. Ich dachte, wir hätten dich besser erzogen.“

„Ach, Papi, …“

Mir war klar, dass sie sich einschmeicheln und herausreden wollte, so wie sie es früher versucht hatte, wenn sie etwas Dummes oder Verbotenes getan hatte und einer Strafe entgehen wollte. Ich verstand in diesem Moment aber keinen Spaß mehr. Barsch schnitt ich ihr das Wort ab.

„Nein, ich will jetzt nichts hören. Wir gehen jetzt erst mal rein in die Küche und ich koche einen Kaffee.“

„Bäh!“, Tina streckte die Zunge heraus, „Ich mag keinen Kaffee.“

Ich ignorierte ihr unreifes Verhalten und führte sie ins Haus. Mit meiner und Sarahs Unterstützung, die sie auf der anderen Seite untergehakt hatte, schaffte sie es, unfallfrei die Stufen zur Haustür zu erklimmen.

In der Küche plumpste Tina schwer auf einen Stuhl und ließ ihre Stirn auf den Tisch sinken. Sarah setzte sich auf den Platz neben ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter. Derweil schaltete ich den Kaffeeautomaten ein und holte drei Tassen aus dem Schrank.

What's next?

Want to support CHYOA?
Disable your Ad Blocker! Thanks :)