Sein Vater bekommt eine Nachricht

Thomas Vater arbeitete heute im Home Office, wie er es meistens tat, seitdem seine Firma einen digitalisierten Sprung vorgenommen hatte. Der junge Programmierer verließ sein Zimmer und stieg die Treppe hinab, sein ungewechseltes Shirt klebte an seiner Haut. Er musste gleich duschen, doch zunächst konnte er es nicht erwarten, die App auszuprobieren. Er betrat das Büro seines Vaters. "Morgen", sagte er und richtete sein Smartphone auf des Architekten. "Morgen", antwortete Sein Vater, er wollte verständlicherweise nicht gestört werden. Start Intrusion. Die App zeigte mit einer simplen Textzeile an, dass sie suchte. Dann, ein Ergebnis. Ein Handymodell, dasselbe, das sein Vater hatte. Send message.

Thomas war so aufgeregt, sein Atem ging schwer. Sein Vater sah ihn misstrauisch an. "Gibt's etwas?"

"Nein, nein!", der Programmierer verließ schnell das Zimmer. "Ihr Akku hat seine Lebensdauer zur Hälfte überschritten. Die Leistung könnte bald abnehmen", schrieb Thomas. Eine Nachricht, die nicht zu auffällig war, die ihm jedoch reichte, um seine App auszuprobieren. Er sendete und das Handy seines Vaters piepste sofort auf. Thomas durchlief ein Schauer. "Mein Akku? Das habe ich ja noch nie bekommen, und wieso steht das so mitten auf meinem Bildschirm?", murmelte sein Vater. Thomas sprang auf, ballte die Fäuste, schlug in die Luft. Das hatte geklappt, perfekt, er hatte es geschafft.

Er sprang rasch unter die Dusche, denn er musste los. Er wollte unbedingt austesten, ob auch die anderen Funktionen so fantastisch klappten.

Thomas verließ das Haus mit halbnassen Haaren und ungekämmt. In seinem Kopf wirbelten all die Möglichkeiten herum, wie er mit seiner App riesigen Spaß haben könnte. Thomas passierte eine Bushaltestelle, ein perfekter Pool an Versuchsobjekten. Start intrusion, mehrere Smartphones wurden angezeigt. Er wählte das oberste, ein Huawei. Transfer data. Receive. Search files. Thomas war direkt in den Dateienmanager eines wildfremden Smartphones gelangt. Vor ihm bauten sich Ordner auf. DCIM, hier mussten Photos sein. Thumbnails wurden geladen und Thomas klickte auf das erste. Ein Bild von einer Teetasse mit lustigem Spruch. Er blätterte. Ein Selfie einer älteren Dame an einem Fluss. Dieselbe Dame mit einem jungen Kerl an demselben Fluss. Sie trug eine rote Jacke und musste die Frau sein, die rechts neben den Bänken stand, sie trug dieselbe Jacke und hatte dieselbe Frisur wie die Dame auf den Photos. Thomas fixierte sie, doch sie schien absolut nichts zu bemerken. Absolut seelenruhig scrollte sie mit ihrem Zeigefinger über den Bildschirm. Perfekt, absolut perfekt.

Spectator. Die Dame scrollte gerade durch den Artikel eines Online-Gartenmagazins. "...und so bringen Sie Ihre Rispentomaten zum Strahlen!" Auf seinem Bildschirm konnte er ihre Scrollbewegungen mitverfolgen. Sie übersprang eine Werbung. Öffnete die Kommentare. Navigierte zur App der Bahn und vergewisserte sich, dass sie ihren Anschluss erreichen würde. Er hatte genug gesehen. Mit einem breiten Grinsen schloss er die App und wandte sich ab. Seine Finger drohten ihm abzufallen, so stark presste er seine Fäuste zusammen. Er, Thomas, war einfach ein wahres Genie.