Etwas Selbstdisziplinierung

Anja wirkte plötzlich gar nicht mehr so wütend und aufbrausend. Die Situation war ihr unheimlich. Ängstlich blickte sie zwischen ihrer Mutter und ihrem Freund hin und her.

Pia, Robert und Markus sahen verwirrt aus. Sie verstanden nicht, was los war. Wieso konnten sie sich nicht bewegen?

Ben dagegen schien nur geringfügig beunruhigt. Es schien ihm zu gefallen, dass seine Schwester offenbar endlich mal zur Rechenschaft gezogen wurde. Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht.

Jennifer wartete gespannt auf das, was nun folgte. Schließlich wusste sie, wozu ich jetzt fähig war.

"Anja, von jetzt an wirst du dir jedes Mal, wenn du jemanden beleidigst, ärgerst, quälst, mobbst oder respektlos behandelst, eine Ohrfeige geben und sagen: 'Es tut mir leid. Ich bin eine dumme Schlampe.' Mit Ausnahme von Jennifer vergesst ihr alle Anjas Ausbruch und alles, was seitdem passiert ist. Ihr könnt euch wieder bewegen."

Jennifer sah mich mit vor Begeisterung weit geöffneten Augen an und musste sich ein Lachen verkneifen.

Nachdem Anjas Ausraster vergessen war, gingen die Gespräche etwas gemäßigter weiter. Zumindest bis Pia ihre Tochter nach ihrem Tag fragte.

"Ach, nicht viel. Ich war heute Morgen bei Markus. Wir haben schön gefrühstückt. Dann haben wir noch ein bisschen ferngesehen, bevor ich schonmal nach Hause gefahren bin. Markus musste noch was erledigen und wollte dann später nachkommen. Jedefalls als ich dann hier angekommen bin, sah ich, dass mein bekloppter Brud..."

<KLATSCH!>

"Es tut mir leid. Ich bin eine dumme Schlampe."

Stille.

"A... alles in Ordnung, Schatz?", fragte Markus verwirrt.
"Ich ... ich glaube schon. Ich weiß nicht ... was das war ..."

Die sonst so selbstsichere Anja war sichtlich neben der Spur.

"Hast du dich gerade selbst Schlampe genannt?", prustete Ben los.
"Ach halt die Klappe Ben! Ich ..."

<KLATSCH!>

"Es tut mir leid. Ich bin eine dumme Schlampe."

Für einen Moment sah sich Anja ängstlich um. Dann machte sich Frustration auf ihrem Gesicht breit.

"Schatz, was soll das? Hör auf damit", forderte Pia.
"Ich will das doch gar nicht tun", blaffte Anja ihre Mutter an.

Wieder lief sie zur Küchenzeile, schnappte sich ein weiteres Stück Pizza und biss wütend hinein.

"Ich glaube wir sollten uns alle mal beruhigen. Vielleicht liegt es an deinen Nerven? Du ...", setzte Markus an, wurde aber von Robert unterbrochen, der Anja ein Glas Wasser reichte.

"Hier, trink das. Vielleicht war es heute einfach zu heiß und du bist dehydriert. Bei den Temper..."
"Oaaahhh! Robert! Schieb ab!"

Es folgte die dritte Ohrfeige samt Spruch. Mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung stand Anja auf.

"Mir reicht's! Ich weiß nicht, was hier los ist, aber ich gehe jetzt ... Komm Markus!"
"Markus will noch bleiben. Das siehst du doch, Anja. Lass ihn. Er kommt später nach", befahl ich.
"Ja, Schatz. Ich würde gerne noch etwas bleiben", legte Markus einen seiner seltenen Proteste gegen seine Freundin ein.

Anja schnaubte und ohne nochmal darüber nachzudenken, schimpfte sie schon los: "Argh! Ihr verdammten Idioten. Ihr seid zu nichts zu gebrauchen."

Die vierte und fünfte Ohrfeige folgten in schneller Folge. Nachdem Anja zweimal bestätigt hatte, dass sie eine dumme Schlampe sei. Drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und stürmte aus der Küche.

Ben prustete erneut los. Auch Jennifer und ich mussten lachen. Pia sah uns mürrisch an.

"Was? Was können wir denn dafür, dass sie so 'ne Show abzieht?", verteidigte sich Ben.
"Ich weiß nicht, was los ist, aber deine Schwester scheint gerade Unterstützung zu brauchen. Ich werde mal nach ihr sehen."

Noch bevor Pia ganz aufgestanden war, unterbrach ich sie: "Pia, du glaubst doch auch, dass Anja sich viel besser beruhigen kann, wenn sie ihre Ruhe hat. Ihr geht es bestimmt schon viel besser."

Zögerlich setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl.

"J... ja, da hast du wohl recht."

Und damit war das Thema erledigt.

Jennifer beugte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr, dass ich ein Meister der Manipulation sei. Ich lächelte und gab ihr einen Kuss.

Die nächste Dreiviertelstunde war lustig und gesellig. Alle saßen zusammen, erzählten sich mehr oder weniger lustige Geschichten und entspannten sich. Kein Vergleich zu vorher, als Anja mit ihren ständigen Sticheleien die Stimmung so heruntergezogen hatte. Sogar Markus kam etwas aus sich heraus und lächelte öfter.

Als er sich dann doch verabschiedete und ankündigte nach oben zu gehen, schlossen Jennifer und ich uns ihm an.

"Danke für die Pizza Robert. Das war echt 'ne super Idee", bedankte ich mich.
"Ja, vielen Dank!", fügte Jennifer hinzu und umarmte zuerst ihre Mutter und dann Robert.

Oben angekommen verschwand Markus in Anjas Zimmer.