Chapter 15
What's next?
Dagos Kunst
Während er so des Nachts bei Nanesha verweilte, verbrachte er die hellen Tage meist in meiner Gesellschaft. Die Dauer und die Häufigkeit meiner Bücherstudien nahmen derweil stetig ab. Tatsächlich fand ich in den Schriften, wie Nanescha vorausgesagt hatte, keinen Hinweis auf eine Lösung unseres Problems. Stattdessen bemühte ich mich, den Gefangenen durch ausgedehnte Spaziergänge zu erheitern und so meinen Beitrag zu leisten. Denn während der Ausflüge in der freien Natur fühlte er sich am wohlsten.
Nicht nur Blumen und sprießende Pflanzen erfreuten ihn. Auch die strahlende Sonne und der durch die sich langsam verfärbenden Blätter streichende Wind machten ihn glücklich. Sogar fallender Regen ließ ihn auflachen, denn durch ihn erhielten die Pflanzen das lebensspendende Wasser. Ich stellte fest, dass sein fröhliches Wesen auf mich abfärbte und ich begann, die Natur und das Leben um uns herum mehr zu schätzen als alle Bücher und Geschichten. Bald konnte ich mir kaum mehr vorstellen, wie mein Leben ohne ihn gewesen war.
Nanescha schlief nun oft in den Tag hinein, um sich von den Anstrengungen der Nächte zu erholen. Aber sie beklagte sich nie. Im Gegenteil, manchmal kam sie tagsüber zu uns und lud Dago von sich aus zu einem Spaziergang zu zweit ein, damit ich ein wenig Zeit für mich hätte. Bei solchen Unternehmungen suchten sie geheime Plätze abseits der ausgetretenen Pfade und mühten sich, keinem Menschen zu begegnen. Es mussten besonders ausgedehnte und anstrengende Wanderungen sein, die sie zusammen unternahmen, denn jedes Mal kamen sie erst nach langer Zeit zurück und wirkten erhitzt und ermattet.
So großzügig und dankenswert diese Gesten Naneschas auch waren, verwunderte ich mich doch, dass sie gar keine Zeit mehr mit mir verbringen wollte. Es war, als sei ihr Dagos Gesellschaft lieber als meine, was einen Hauch Eifersucht in mir weckte. Vehement kämpfte ich dieses unangebrachte Gefühl nieder, war es doch einer Damen von Stand nicht würdig, neidisch auf eine heimatlose Zigeunerin und einen entwurzelten Fremden zu sein.
Die Zeit verging und mit ihr meine Hoffnung auf ein gutes Ende unserer Geschichte. Wenn es das Wetter zuließ, setzte ich mich auf eine Gartenbank und genoss melancholisch die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Herbstes, während ich zusah, wie Dago in den Beeten arbeitete. Dort wo er seine Hand anlegte, wuchsen die Pflanzen danach am schönsten und gesündesten. Sogar meine Knechte bemerkten dies und konnten eine gewisse Anerkennung für seine Kunstfertigkeit nicht verhehlen. Dadurch keimte in mir die Hoffnung, dass Dago, auch wenn wir nie den Rückweg in seine Heimat finden konnten, bei uns wenigstens eine Aufgabe und ein erfülltes Leben haben würde.
Je weiter der Herbst voranschritt und der Winter seine ersten Ausläufer sandte, desto mehr Sorgen machte ich mir. Immer weniger Zeit konnten wir im Freien verbringen. Die dunklen Nächte wurden dagegen immer länger. Nanescha schien dies zwar nichts auszumachen. Fieberte sie doch geradezu täglich dem Einbruch der Dunkelheit entgegen, zu dem sie sich mit Dago zurückzog, sich um ihn zu kümmern.
Ihrer Gesundheit konnte dies auf Dauer nicht zuträglich sein, fürchtete ich. Ich musste sie irgendwie von ihrer Bürde entlasten. Doch trotz meiner geringen Erfahrung war ich mir ziemlich sicher, dass es sich für eine unverheiratete Dame meines Standes nicht geziemte, solcherlei Dienste, wie ich sie einmal gesehen und mittlerweile oft gehört hatte, zu erbringen. Beim fahrenden Volk war das sicher etwas anderes, weshalb Nanescha keine Gewissensbisse haben musste.
What's next?
Freiin Cornelia
Märchen, Spukgeschichten und okkulte Bücher, die mir eine Großtante hinterlassen hat
Freiin Cornelia wird mit achtzehn Jahren plötzlich und unvorbereitet Herrin über ein kleines Familiengut. Ihr Zeitvertreib beschränkt sich im Wesentlichen auf das Vergnügen, Märchen, Spukgeschichten und okkulte Bücher zu lesen, ohne das wahre Leben kennen zu lernen. So schwirrt es in ihrem Kopf von Hexen, Zauberern, weißen Rittern, Elfen und höllischen Dämonen. Andernfalls wäre es vermutlich nicht zu dieser Geschichte gekommen.
Updated on Aug 19, 2023
Created on Aug 3, 2023
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