Verborgene Wünsche

Verborgene Wünsche

Wo liegt die Grenze?

Chapter 1 by Meister U Meister U

Die warme Luft des Sommerabends zog durch das offene Fenster, vermischte sich mit dem Duft von frischen Blumen, die in einer Vase auf Judiths Tisch standen. Sarah lehnte sich entspannt zurück, ihre Beine angewinkelt auf dem Sofa, während Judith in der Küche zwei Gläser Weißwein einschenkte.

„Also, ich sag’s dir“, begann Sarah, während sie mit ihrer Hand gedankenverloren ein Sofakissen drehte, „wenn ich noch einen Tag länger in diesem Büro sitze, ohne dass irgendwas Spannendes passiert, dann... keine Ahnung, kündige ich einfach.“

Judith lachte und kam mit den Gläsern ins Wohnzimmer zurück. „Ja klar. Und dann machst du was? Dich als Strandmuschelvermieterin auf Sylt selbstständig?“ Sie reichte Sarah ein Glas und setzte sich in den Sessel gegenüber.

„Strandmuschelvermieterin klingt ehrlich gesagt besser, als ständig diese Berichte für Leute zu schreiben, die sie am Ende doch nicht lesen“, erwiderte Sarah und nahm einen großen Schluck Wein. „Manchmal frage ich mich echt, ob das alles ist. So... das Leben.“

Judith hob die Augenbrauen. „Oh, da sind wir jetzt aber schnell bei den großen Fragen gelandet, hm? Wirst du etwa melancholisch?“

„Ich weiß nicht... vielleicht. Es ist einfach dieses Gefühl, dass ich was verpasse. Weißt du, was ich meine?“ Sarah stellte das Glas ab und zog die Knie an ihren Körper. „Du hast wenigstens deine Kunst. Irgendwas, wofür du brennst.“

Judith zuckte mit den Schultern und spielte gedankenverloren mit ihrem Weinglas. „Ja, aber glaub mir, das ist auch nicht immer so glamourös, wie es klingt. Ich verbringe Stunden damit, mich selbst davon zu überzeugen, dass das, was ich male, überhaupt irgendwas taugt.“

„Aber wenigstens malst du“, sagte Sarah eindringlich. „Das ist mehr, als ich von mir behaupten kann. Ich sitze rum, schreibe langweilige Texte und warte darauf, dass irgendwas passiert.“

Judith musterte sie nachdenklich. „Und was soll passieren? Was würdest du tun, wenn du alles könntest? Keine Grenzen, keine Verpflichtungen – was wäre dann dein Traum?“

Sarah verstummte und schaute aus dem Fenster, wo die letzten Sonnenstrahlen hinter den Dächern der Stadt verschwanden. „Ich weiß es nicht“, murmelte sie schließlich. „Vielleicht reisen. Irgendwohin, wo ich noch nie war. Neues entdecken.“

Judith lächelte leicht. „Das klingt doch schon mal nach einem Plan. Und was hält dich davon ab?“

Sarah lachte bitter auf. „Geld? Zeit? Der Fakt, dass ich viel zu feige bin, einfach alles hinter mir zu lassen?“

„Ach komm“, meinte Judith und lehnte sich vor. „Wenn du wirklich wolltest, würdest du es machen. Du brauchst nur den ersten Schritt. Alles andere ergibt sich dann.“

Für einen Moment war es still. Nur das leise Summen eines vorbeifahrenden Autos drang durch das Fenster. Sarah schloss die Augen und ließ die Worte ihrer Freundin nachklingen. Vielleicht hatte Judith recht. Vielleicht musste sie einfach nur den Mut aufbringen, etwas zu ändern.

„Und was ist mit dir?“ fragte Sarah schließlich, die Augen wieder öffnend. „Hast du jemals überlegt, alles stehen und liegen zu lassen?“

Judith grinste und hob ihr Glas. „Jeden Tag, meine Liebe. Jeden einzelnen Tag.“

Sie stießen an, und das Klirren der Gläser hallte wie ein stilles Versprechen durch den Raum.

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