Auf die harte Tour

Dörte und Ignatz sind schon länger ein Paar. Nach all den Jahren sollte der jeweils andere eigentlich keine Überraschungen in seinem Wesen bereithalten. Aber trotzdem kommen ab und zu unerwartete Seiten zum Vorschein. Liegt darin nicht gerade das Besondere in einer Partnerschaft? Alles steht und fällt doch damit, sich jederzeit auf den anderen verlassen zu können.

Die beiden haben keine ständigen Geldsorgen, sind aber alles andere als reich. Ein gemeinsames Notebook für beide muss reichen. Ignatz löschte üblicherweise seinen Browserverlauf, aber diesmal hatte er es vergessen, er war wohl abgelenkt. Und so war Dörte überrascht, auf welche Internetadressen sie stieß, als sie nach einem kürzlich besuchten Modeportal suchte. SM-Foren? Sie hatte diese Seiten bestimmt nicht aufgerufen, also konnte es nur Ignatz gewesen sein.

Sie entschied sich, ihn nicht – noch nicht – darauf anzusprechen. Stattdessen verfolgte sie seine Spuren im Netz. Ihr Lebenspartner wurde offensichtlich leichtsinniger und vernachlässigte es, den Browserinhalt regelmäßig zu löschen. Er trieb sich regelmäßig auf diesen Portalen herum. Auf seinem Dateipfad hatte er sich einen Ordner angelegt, in dem er Geschichten sowie Fotos abspeicherte. Dörte hatte genug gesehen und wagte den nächsten Schritt. Sie rief eines der SM-Portale auf, dann blieb sie vor dem Laptop sitzen. Schließlich näherte sich Ignatz wie erwartet. Überrascht hielt er hinter ihr inne und blickte auf den Bildschirm. „Was schaust du dir denn da an?“ Seine Stimme schien leicht zu zittern. „Komm, setzt dich zu mir!“ forderte Dörte ihn auf. Den halben Abend sahen sie sich gemeinsam harte SM-Darstellungen an.

Dörte bemerkte, dass Ignatz offensichtlich von Bondageszenarien fasziniert war, selbst wenn die Fesseltechniken den Opfern offensichtlich weh taten. Dörte hatte vor einiger Zeit gelesen, dass jeder Mensch sowohl S- als auch M-Seiten hat. Andere Menschen zu quälen, diese Neigung wird schnell freigesetzt, wenn die Umstände die Gelegenheit begünstigen. Die Lust daran, sich quälen zu lassen, kommt schon seltener ans Tageslicht.

Aber Ignatz? Dörte war eine solche Neigung nie an ihm aufgefallen. Bei ihr war er zärtlich und behutsam, im Job als Vorgesetzter gab er deutlich die Richtung für seine Mitarbeiter vor. Unter ihren Bekannten pries er regelmäßig die Gleichberechtigung und Emanzipation der Frauen, sehr zum Vergnügen seiner alten Freunde, die an einem eher traditionellen Rollenverhalten festhielten. Doch von Emanzipation bis zur strengen Domina war es doch ein weiter Schritt.