Eine Nullnummer?

Sie spürte, wie er sie noch etwas fester bei ihrer Frage an sich zog. Es kam ihr vor, als wäre die Zeit um sie herum stehengeblieben, während er ihr tief und verliebt in die Augen sah.

"Ich hoffe nur, Du ziehst nachher Gina nicht mir vor." gab er ihr verspielt zurück und lächelte sie an. Sie war sich nicht sicher, ob in seinen Worten nicht eine gewisse Unsicherheit mitschwang. Auch wenn sie es in diesem Moment nicht klar einordnen konnte, amüsierte es sie trotzdem. Dieser gut aussehende Kerl, der jetzt scheinbar Sorge darum hatte, am Ende vielleicht doch nicht zum Zuge zu kommen.

"Wer weiß, noch bist Du nicht am Ziel, mein Lieber!" zog sie ihn auf und löste sich von ihm. Auch wenn es für sie jetzt schon feststand, was sie sich heute Nacht noch gönnen würde, machte es sie an, ihn weiter zappeln zu lassen.

"Ich bin mal kurz weg" damit schnappte sie sich ihre Zigarettenschachtel unter dem Tresen und überließ Gina die Arbeit. Mit dem Gefühl, von unzähligen Augenpaaren im Rücken auf ihrem Weg hinaus verfolgt zu werden, steuerte sie auf die Tür zu. Schritt für Schritt feierte sie sich dafür, nicht nur es Hakan gezeigt zu haben, sondern es auch immer noch drauf zu haben.

Lächelnd lehnte sie sich auf der Bank zurück und sog den Rauch ihrer Zigarette ein. Immer wieder musste sie an ihren Auftritt denken. Es hatte sich so gut angefühlt, nach so langer Zeit wieder einmal im Mittelpunkt zu stehen. Sie hatte es immer geliebt und die Aufmerksamkeit genossen, auch wenn sie die geifernden Typen um sich herum dabei immer verachtet hatte. Diese Spießer, welche sich daran aufgeilten, ihr dabei zuzusehen und sich weiß Gott was ausmalten, wenn sie sich im Takt der Musik wog.

Ja, was eigentlich, was malten die sich aus, fragte sie sich plötzlich, wobei sie die Antwort darauf kannte. Auch war der Gedanke daran, warum sie eigentlich hier war, wieder da. Im Vordergrund ihrer Recherche stand ja nicht, sich selbst zu amüsieren und zu feiern, sondern Informationen zu sammeln. Unter dem Strich war sie heute bis auf die mysteriösen Beträge in den Kassenberichten nicht weitergekommen. Klar würde wieder ein netter Nebenverdienst für sie herausspringen, aber für ihre Recherche war es am Ende eine Nullnummer. Auch wenn sie sich vorgenommen hatte, heute bei der Kassenabrechnung genauer hinzusehen, war hier auf der Partymeile für sie eigentlich nichts weiter zu holen.

Genügend Material hatte sie bereits online gesammelt, um für einige Wochen ihre Kolumne weiterführen zu können, aber das würde nicht reichen. Sie wollte mehr als nur ein wenig an der Oberfläche kratzen. Nein, sie wollte tiefer in diese Welt eindringen. Eine tiefgründige Reportage mit Hintergrundinformationen sollte es doch werden. Irgendwie musste sie es hinbekommen, im Club nebenan zu landen. Wenn sie dort erst einmal den Fuß in der Tür hätte, könnte sie weiter recherchieren. Aber würde es dann reichen, am Ende nur hinter der Bar zu stehen?

Sich auszuziehen war immer ein Tabu geblieben, auch trotz der vielen Angebote von Veranstaltern in der Vergangenheit bei ihren Auftritten. Selbst oben ohne war nicht drin gewesen. Es hatte für sie nie zur Debatte gestanden und war immer eine rote Linie geblieben, die sie nicht überschritten hatte. Sie war daher überrascht, dass sie sich plötzlich selbst diese Frage stellte. Wäre sie am Ende wirklich bereit, so weit zu gehen?

Wie würde es sich wohl anfühlen, an der Stange vor unbekannten Männern im Club zu tanzen und sich dabei auszuziehen? Ihnen alles zu zeigen, sie aufzugeilen und zu animieren. Oder gar in einem Separee für einen Mann allein und dort auch nur für ihn? Sich vielleicht sogar von ihm dabei anfassen zu lassen oder noch mehr? Von irgendeinem Fremden. Und das nicht, weil sie es wollte, sondern weil er für sie zahlte?

Lächelnd dachte sie über diese frivole Vorstellung nach. Aufregend wäre es auf jeden Fall und die volle Aufmerksamkeit würde sie mit Sicherheit bekommen. Aber so weit war es noch nicht. Erst einmal musste sie in den anderen Club im Haus.

Irgendwie.