Geblendet

Die Sonne war gnadenlos, wie ein Scheinwerfer über der Bühne. Michelle lag da – nackt, ausgestreckt, auf der harten Gartenliege ohne Polster, die Beine leicht gespreitzt, wie Thomas es wollte. Ihre Wirbelsäule spürte jeden Lattenrost. Ihre Fersen am äussersten Rand der Liege, dazwischen SONNE

Die neue Brille auf der Nase machte alles weich und diffus – ein Kokon aus Licht, aus dem heraus sie nichts, aber alles erahnte. Die Beine geöffnet. Die Arme seitlich abgelegt. Eine Pose zwischen Opfer und Statue.

Thomas hatte gesagt: „Ich bin kurz im Haus. Bleib so. Ich will dich finden wie ein Geheimnis.“

Sie hatte genickt. Sie liebte dieses Spiel sie wollte, dass er stolz ist.

Der Garten war still. Dann: ein Knirschen. Leise Schritte auf Kies. Keine Stimme. Kein Gruß.

Nur das Gefühl, dass sie nicht allein war. Sie drehte den Kopf. Blinzelte.

Ein Schatten stand gleich an der Hausecke, am Rand der Hecke. Dahinter die Sonne. Still.

Zu weit weg, um sicher zu sein. Zu nah, um sich zu täuschen.

Ihr Atem stockte. Sie regte sich nicht. Sie glaubte zuerst, es sei Thomas.

Doch nichts an der Haltung dieses Schattens passte. Kein Impuls, kein Schritt auf sie zu. Nur Starren.

Und dann wusste sie es. Es war Rolf.

Sie spürte ihn. Seine Augen. Die Art, wie Männer sehen, wenn sie sich selbst vergessen.

Sie wollte sich bedecken. Aber Thomas hatte gesagt: „Bleib so.“

Und sie wusste nicht, ob er vielleicht gerade bei ihr stand, wartend. Prüfend.

Also blieb sie liegen. Starr. Sichtbar. Und Rolf verschwand, langsam, wie ein Tier, das satt geworden ist.

Kurz darauf: Schritte. Thomas kam aus dem Haus. Mit zwei Gläsern in der Hand.

„Immer noch da?“, fragte er und klang erfreut. Michelle nickte. Starrte in die Sonne.

Sie erzählte ihm nichts. Nicht jetzt. Denn irgendwie war sie sicher:

Auch das war ein Test gewesen. Und vielleicht hatte sie ihn bestanden.