Erst mal sondieren

Ich halte Abstand und beobachte erst mal. Wenn die Brünette tatsächlich im Nachbarhaus wohnt und nicht nur bei einem Freund oder irgendwelchen Verwandten übernachtet hat, werden wir uns ohnehin öfter begegnen. Also kein Grund, etwas zu überstürzen. Ich habe mir ohnehin angewöhnt, den ersten Schultag nur zum Sondieren zu nehmen. Es ist viel effektiver, erst mal die ganze Angebotspalette in Augenschein zu nehmen und sich einen Eindruck des Verhältnisses der einzelnen Personen untereinander zu verschaffen, als gleich auf die Erstbeste, die einem gefällt, loszugehen. Bei meinem Aussehen hab ich das zum Glück auch nicht nötig. Ich lass mich erst mal auf die Mädchen wirken. Die Wirkung erstaunt mich jedes Mal wieder. Die eine öffnet einen Knopf ihrer Bluse, die andere zieht am nächsten Tag einen kürzeren Rock an – um nur mal zwei Beispiele zu nennen.

Die Brünette bleibt wie ich an der Bushaltestelle stehen, wo sich bereits fünf andere Personen befinden. Gut so, sonst wäre ich bereits ****, jetzt mit ihr in Kontakt zu treten. Zwei Minuten später ist der Bus auch da. Er ist nicht mal halb voll, wir wohnen hier auch eher am Stadtrand. Die Brünette nimmt neben einer etwa gleichaltrigen Blondine Platz, wohl Freundin oder Mitschülerin. Küsschen links, Küsschen rechts. Die beiden sind sofort in eine Plauderei miteinander vertieft. Ich nehme ein paar Reihen weiter hinten auf der anderen Seite am Gang Platz, von wo aus ich auf die beiden einen guten Blick habe. Neben mir sitzt am Fenster eine recht kleine, unscheinbare Schülerin, die sehr freundlich „Aber sicher!“ sagte, als ich sie fragte, ob der Platz neben ihr frei sei, wonach sie sich wieder ihrem Handy widmet. Ihre gelegentlichen verstohlenen Blicke zu mir entgehen mir nicht. Lass sie bitte auf meiner Schule sein, denke ich bei mir. Ich mag diese Mauerblümchen, die kaum einer beachtet, weil sie nichts aus sich machen, aber einem so viel geben können, wenn sie von ihren Klamotten befreit sind.