Die Trauerfeier

Da unsere Eltern einen sehr großen Freundes- und Bekanntenkreis gehabt hatten, waren sowohl die Trauerfeier in der Kirche und am Grab als auch der anschließende obligatorische Leichenschmaus in einem Gasthof dementsprechend groß ausgefallen. Carena und ich waren den ganzen Tag lang beschäftigt gewesen, viele Hände zu schütteln und Beileidsbekundungen entgegen zu nehmen. Ich hatte auch viele Freunde und Mitschüler von mir wiedergesehen, die allesamt bedauert hatten, dass ich nach der Abiturfeier so plötzlich verschwunden war. Später war ich war gerade in ein Gespräch mit Freunden vertieft gewesen, als diese mit einem Mal verstummt waren. Aus den Augenwinkeln hatte ich ein blondes Mädchen auf mich zukommen sehen, und mir war einen Moment der Atem gestockt.

Ich hatte die letzten zwei Jahre lang über Antje hinwegzukommen versucht, aber tief in meinem Herzen hatte ich gewusst, dass ich meine untreue Ex-Freundin trotz allem immer noch liebte. Ich hatte mich umgedreht und erstaunt die Augen aufgerissen. Das Mädchen war nämlich gar nicht Antje sondern ihre jüngere Schwester Lisa gewesen, die ich noch als Kind gekannt hatte und die ihrer älteren Schwester jetzt zum Verwechseln ähnlich sah. Bevor ich gewusst hatte, wie mir eigentlich geschehen war, hatte Lisa auch schon ihre Arme um meinen Hals geschlungen gehabt und sich dann ganz eng an mich gedrückt. „Martin, es tut mir so leid“, hatte sie geschluchzt, wobei sie offen gelassen hatte, was ihr genau leid tat. Aber ich hatte mich immer sehr gut mit Lisa verstanden und deshalb ihre Umarmung erwidert.

Lediglich der Umstand, dass Lisa ausgerechnet das gleiche etwas blumige Parfüm wie ihre ältere Schwester benutzt hatte, hatte mich ein wenig gestört. Mit einem Mal war ich von einem ganzen Haufen junger, gutaussehender Mädchen umgeben gewesen, die offenbar alle mit Lisa gekommen waren. Carena hatte ein finsteres Gesicht gemacht und etwas gemurmelt, dass man jemanden mit einem Stock von mir fernhalten müsse. Besonders ein zierliches, sehr hübsches Mädchen mit langen, blonden Haaren hatte sich auffällig bemüht, mir schöne Augen zu machen. Das Mädchen war mir irgendwie bekannt vorgekommen, aber so sehr ich mich auch bemüht hatte, war mir einfach nicht ein, woher ich sie kannte. Mit Verwunderung hatte ich nur die offensichtliche Abneigung bemerkt, die Carena besonders gegen dieses Mädchen zu hegen schien.

In diesem Augenblick war ich von Petra, Antjes ehemals bester Freundin, angestupst worden. „Hast du eigentlich wieder eine Freundin?“ hatte sie ungeniert von mir wissen wollen. Die anderen anwesenden Mädchen hatten alle den Atem angehalten und neugierig die Ohren gespitzt. Als ich verneint hatte, hatte Petra erleichtert gegrinst. „Dann hast du jetzt eine“, hatte sie sicherlich gescherzt und sich sogleich bei mir eingehakt. „Aber du bist doch Antjes beste Freundin“, hatte ich ziemlich verwirrt reagiert. „Dann hätte die dumme Nuss eben besser auf dich aufpassen müssen“, hatte Petra ungewöhnlich scharf darauf geantwortet. Meine Schwester Carena, Antjes Schwester Lisa, die unbekannte Blondine und auch die anderen anwesenden Mädchen hatten mich alle angesehen und sehr gespannt auf meine Reaktion gewartet ...