Priester und Opfer

Priester und Opfer

Pater Gabriel macht eine beunruhigende Erfahrung

Chapter 1 by Daemony Daemony

Die Nacht war über der Kleinstadt hereingebrochen, in der Pater Gabriel als Seelsorger wirkte. Er hatte die Abendmesse gelesen, anschließend noch ein wenig aufgeräumt und sich dann auf den Weg ins Pfarrhaus gemacht. Es war nicht weit, deshalb verzichtete er auf seinen Schirm oder Mantel, obwohl es nieselte. Er musste nur über den Kirchhof gehen, durch das schmiedeeiserne Tor, den mit Steinplatten belegten Weg hinauf und da war er schon. Gabriel schloss die Haustür auf. Ein leises Klicken, dann das vertraute, schwache Knarren der Scharniere. Er trat ein, drückte die schwere Tür hinter sich zu und ließ die Stille auf sich wirken.

Er lebte hier allein, seit er die Pfarrei von seinem Vorgänger übernommen hatte. Dessen Haushälterin war mit ihrem Arbeitgeber in Pension gegangen. Gabriel sah keinen Grund, sich eine neue Hausangestellte zu suchen. Als moderner Mann erledigte er Kochen, Putzen und Waschen selbst. Auch vor Einsamkeit hatte er keine Angst. Die Gemeindearbeit brachte ihn in Kontakt mit sehr vielen Menschen. Andererseits genoss er auch Phasen der Stille, die ihm Zeit und Ruhe zum Denken und zur inneren Einkehr schenkten.

Es war heute dieselbe Stille, die ihn immer beim Heimkommen willkommen geheißen hatte, eine vertraute Atmosphäre, die ihn umhüllte wie eine alte kuschelige Decke. Und doch ...

Heute Abend war etwas anders. Er konnte es nicht genau ausmachen. Ein schwacher Geruch lag in der Luft, als hätte sich etwas Ungewohntes damit vermischt. Der Duft von Kerzenwachs, gebohnerten Holzfußböden und alten Büchern war wie immer dominant, aber darunter lag eine kaum wahrnehmbare, fremde Note.

Gabriel schüttelte den Kopf und schnaubte unwillig über sein eigene Beklemmung. Er war stolz auf seine Ausgeglichenheit und seine Fähigkeit, auch in herausfordernden Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Und nun drohte ein kaum vorhandener, womöglich sogar nur eingebildeter Geruch, ihn aus dem Gleichgewicht zu werfen? Er streckte seine Hände aus betrachtete sie genau. Sie waren ruhig, stet. Aber irrsinnigerweise fühlte es sich an, als würden seine Fingerspitzen etwas Unsichtbares berühren.

Vermutlich war er nur müde und sollte sich hinlegen. Er stellte die Straßenschuhe in den Schuhschrank und schlurfte auf Socken ins Schlafzimmer. Nach den ersten Schritten zögerte er, als er **** aus dem Augenwinkel das Kruzifix an der Wand bemerkte. War es, wenn auch nur ein kleines Bisschen, aus der Senkrechten geneigt? Er war sicher, dass es perfekt gerade hing, als er das Haus verlassen hatte. Oder spielte ihm sein Verstand einen Streich?

Sein Blick schweifte durch den Flur und durch die hinter offenen Türen sichtbaren Räume. Alles schien unverändert und an seinem Platz zu sein. Und doch spürte er es tief in seiner Seele: Jemand war hier gewesen. Oder schlimmer noch – etwas war immer noch hier.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er **** sich, gleichmäßig und ruhig zu atmen, aber sein Herz schlug noch immer einen Bruchteil zu schnell.

Da – ein Geräusch!

Leise. Kaum mehr als ein Wispern. Das Rascheln von sich bewegendem Stoff.

Er war nicht der Einzige im Haus.

Gabriels Kopf ruckte hoch. Sein Blick heftete sich auf die Schlafzimmertür. Sie stand einen Spaltbreit offen. Dahinter erkannte Gabriel eine schemenhafte Gestalt, die regungslos abwartete und ihn beobachtete.

Eine Schockwelle überschwemmte ihn. War das real oder bildete er es sich ein? Gabriels Puls rauschte in seinen Ohren. Sein Körper war wie erstarrt. Seine Vernunft kämpfte **** darum, die Oberhand über die tierischen Instinkte zu behalten, die die Kontrolle übernehmen wollten.

Was sollte er tun? Fliehen, um Hilfe rufen, den Eindringling zur Rede stellen?

Der Fremde nahm ihm die Entscheidung ab. Er stürmte los.

Wie in Zeitlupe sah Gabriel ihn auf sich zu rennen. Der Fremde war ****, kaum in den Zwanzigern, sein hageres, mit Bartstoppeln bedecktes Gesicht wurde vom schwachen Lichtschein der einzelnen Lampe im Flur nur halb erhellt, der Rest lag im Schatten. Aber seine Augen stachen trotzdem daraus hervor – dunkel, durchdringend– sie spiegelten eine Mischung ursprünglicher Emotionen wider: Angst, Wut, Verzweiflung. Sein ungepflegtes schwarzes Haar klebte an seiner Stirn, feucht von Schweiß oder Regen. Seine Kleidung – eine verkratzte Lederjacke über einem dunklen Hemd, eine abgetragene Jeans, zerschlissene Turnschuhe – sah zerknittert und nass aus, als wäre er zu lange draußen gewesen.

Seine Haltung war gebückt, angespannt wie die eines gefangenen Tieres, das bereit war anzugreifen, um sich einen Fluchtweg zu erkämpfen.

Gabriel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, den Fremden zu beruhigen, ihm zu versichern, dass er keine Angst haben musste.

Aber er kam nicht dazu. Der Angreifer war zu schnell. Nur Sekunden brauchte er, um die kurze Distanz zu überwinden. Mit gesenktem Kopf raste er auf den Pastor zu, der ihm den Ausgang versperrte.

Gabriel reagierte, ohne nachzudenken. Er glitt geschmeidig zur Seite, so dass der Ansturm knapp an ihm vorbeiging. Gleichzeitig schoss seine Hand vor und erwischte eine Handvoll Haare. Der junge Mann heute auf vor **** und Überraschung. Er wurde von seinem eigenen Schwung herumgerissen und kam schlitternd zum Stehen. Wütend versuchte er, sich zu befreien, aber Gabriel hielt ihn unerbittlich fest.

„Warte! Ich will dir nichts tun“, keuchte Gabriel, seine Stimme klang vor Anstrengung und Aufregung heiser.

Der Fremde hörte nicht zu. Er drehte sich und schwang eine Faust, die auf Gabriels Kopf gezielt war. Doch der warf sich zur Seite und der Hieb streifte nur seine Schulter. Es war ein ungestümer, verzweifelter Schlag gewesen, der mehr als alle Worte klarstellte, dass der Junge nicht bereit war, klein beizugeben. Er ließ mehrere wilde Schwinger und Tritte folgen, versuchte sogar, seinen Widersacher zu beißen.

Gabriel hatte noch nie zuvor gekämpft. Aber jetzt erwachte etwas tief in ihm, etwas Urtümliches. Der Priester verstärkte seinen Griff und versuchte, den Gegner zu umklammern, um ihm die Bewegungsfreiheit zu nehmen. Instinktiv erkannte Gabriel, dass sein größeres Körpergewicht ein wichtiger Vorteil war. Er nutzte seine schiere Masse, um den jungen Mann aus dem Gleichgewicht zu bringen und zurück zu drängen. Gemeinsam taumelten sie den Flur entlang, stolperten durch die Tür ins Schlafzimmer. Mit einem kräftigen Stoß brachte Gabriel den Eindringling zu Fall. Wild mit den Armen rudernd kippte der hintenüber und krachte auf das Bett, dessen Holzrahmen unter dem Aufprall ächzte.

Für einen Moment war der Raum erfüllt von rasselndem Atmen. Gabriel richtete sich auf und wankte zum Bett. Das Adrenalin schwand langsam aus seinem Kreislauf und er spürte die nackte Erschöpfung nach der ungewohnten Beanspruchung seines untrainierten Körpers. Er beugte sich nach vorn und stützte sich mit zitternden Armen auf seinen Oberschenkeln ab. Seine Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg.

Er konnte es selbst nicht glauben: Er hatte gewonnen.

Der junge Mann lag regungslos auf der Matratze. Aber Gabriel konnte in seinen dunklen Augen sehen, dass er sich noch längst nicht geschlagen gab. Sie funkelten vor Trotz, beobachteten den Priester und schätzten ihn ab.

Gabriel schluckte.

Was nun?

Verrät der Fremde, was er im Haus suchte?

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