Lampenfieber

Warum nur fühlte sich Heikes Finger in ihrem Schritt nur so verdammt gut an? Sie hatte sich niemals etwas aus Frauen gemacht oder einen Reiz in diese Richtung verspürt. Und jetzt schmolz sie unter ihren Händen regelrecht dahin. Sie empfand keine Scheu mehr davor, sich hier unter den Blicken gehen zu lassen. Was bis gestern für sie noch undenkbar gewesen wäre, war jetzt nochmal. Niemand nahm Anstoß an ihrem Treiben und störte sich daran, wobei die meisten der anderen Gäste sowieso in den Separees anderweitig beschäftigt waren. Sie sah, wie Patrick auf der Bühne eine Magnumflasche Schampus in Empfang nahm und sich mit den beiden Frauen verzog. Es schien der Preis für ihren Einsatz gewesen zu sein, welchen sie jetzt wohl gemeinsam teilen wollten.

"Wetten, dass er die beiden heute nicht mehr ficken wird. Aber vielleicht kann er sich ja anderweitig revanchieren." lästerte Heike ihr ins Ohr und sah, wie deren Lover immer näher kamen. Nicht nur, dass ihnen die Gier ins Gesicht geschrieben stand und sie mit ihren Augen zu verschlingen drohten. Sie schmolz dahin, als einer der beiden ihren Kopf einfach in seine Hände nahm und ihr einen tiefen Zungenkuss aufzwang. Wie damals als Teenagerin beim ersten Kuss von ihrem ersten Freund ließ sie es einfach geschehen und gab sich dem hin. Insgeheim sehnte sie sich danach, sich jetzt mit den Dreien auf eine der Spielweisen zurückzuziehen. Ihre Geilheit hatte sich längst wie ein dichter Nebel in ihrem Kopf ausgebreitet und ließ die Wahrnehmung ihrer Umgebung verschwimmen. Die Worte des Moderators erreichten schon lange nicht mehr ihr Hirn und schallten an ihr vorbei durch den Raum. Wollüstig sah sie die beiden an und forderte sie regelrecht dazu auf, sie auf eine der Spielwiesen zu entführen. Sie wollte es jetzt. Sie brauchte es jetzt.

"Ups" feixte Heike plötzlich drauflos, die Utes Hand gegriffen hatte, um ihr die Nummer auf dem Armband zu zeigen. War ihre Nummer jetzt wirklich gezogen worden? Ungläubig blickte Ute darauf und verweigerte sich zu verstehen, was sie tief in ihrem Inneren nicht wahrhaben wollte.

"Doch meine Liebe, it's Showtime!" beantwortete Heike lachend ihren fragenden Blick und dirigierte sie sanft aber bestimmt die wenigen Meter zur Bühne. Bis in die Haarspitzen aufgegeilt, aber trotzdem voller Furcht vor dem Unbekannten, was ihr bevorstand, ließ sie sich von ihr führen. Ute graute davor, als sie vor den Stufen zur Bühne stand. Wenn sie jetzt da hochgehen würde, gebe es kein Zurück mehr. Sie zupfte sich ein letztes Mal ihren BH zurecht und wägte ab.

Jetzt oder nie! Sie atmete noch einmal kräftig durch und stieg langsam die Stufen empor. Überrascht stellte sie fest, dass ihre Überwindung sie jetzt weniger Kraft kostete als erst befürchtet. Nur in ihrer knappen Unterwäsche tauchte sie ein in das helle Licht der Strahler, deren Wärme sich sofort um sie legte. Bei einem kurzen Blick sah sie noch, wie Heike in den Armen ihrer beiden Lover im Dunkel verschwand. Es verblüffte sie, dass es von hier im Rampenlicht fast unmöglich war, etwas im Saal zu erkennen. So gut wie sie vorhin noch aus dem Dunkel heraus auf die Bühne blicken konnte, sah sie jetzt umgekehrt eigentlich nichts mehr. Das Treiben in den nur noch schemenhaft erkennbaren Separees im Saal konnte sie jetzt nur noch erahnen.

Innerlich angespannt ließ sie die herzliche Begrüßung des Moderators über sich ergehen und beantwortete seine Fragen für das Publikum. Auch wenn er sichtlich darum bemüht war, ihr das Lampenfieber zu nehmen und etwas Halt zu geben, quälte sie ihre Nervosität. Sie war jetzt nur noch Nummer 85 und von der sonst so resoluten Unternehmerin weit entfernt. Immer wieder stellte sie sich selbst Fragen, die offen blieben. Wie viele Augen betrachten sie gerade aus dem Dunkel da unten? Und war da jemand, den sie kannte? Oder der sie kannte? Und wen würde zugelost bekommen? Einerseits steigerte sich das Kribbeln ihrer ohnehin schon angefachten Lust ins Unerträgliche, andererseits schnürte ihr die Ungewissheit vor dem Kommenden zusehends die Kehle zu.

Mit gemischten Gefühlen sah sie dabei zu, wie der Moderator die Nummer ihres Lospartners zog und ansagte. Angespannt wartete sie darauf, ob und wo sich im Saal etwas tat. Die Zeit schien stillzustehen für sie in diesem Moment. Sie wusste nicht, wie lange die gefühlte Ewigkeit des Wartens wirklich gedauert hatte, bis sie endlich sah, wie sich jemand im Dunkel der Treppe näherte.