Frühstück

Das Frühstück mit Sieglinde und Lola war so etwas wie eine Stabsbesprechung im lockeren Rahmen. Zuerst wurde ihnen Thea ordentlich vorgestellt, aber auch nicht verschwiegen, dass sie die nächsten Monate hier verbringen wird müssen. James bestand darauf, dass Thea sich alle Bereiche in der Verwaltung, der Landwirtschaft, der Güterproduktion und der Verteidigung ansehen sollte. Damit wollte er ihr helfen, selbst herausfinden, was ihr liegt, um irgendwann ihren eigenen Weg wählen zu können und er sagte das auch so.

Die zwei dominierenden Themen waren die Vorbereitung auf die namenlosen Tage und das geplante Fest, das eigentlich nur so etwas wie die Generalprobe, für die noch nicht bekannt gegebene Verlobungsfeier sein sollte. James hatte vom Kaiser auch das Nachbardorf Feenweide bekommen, aber man stand bereits in guten Kontakt mit den Bewohnern, daher wollten Vicky und James sich dort nur kurz vorstellen, aber zumindest bis nach dem Fest alles beim Alten belassen.

Bisher hatte sich zwischen James und Vicky eine strenge Arbeitsteilung ergeben. Er hat ihr seine Visionen erörtert, die Vögtin hatte diese versucht umzusetzen und das Tagesgeschäft so nebenbei erledigt, während James seinen Studien und Ideen nachging. Das lief bisher für alle Seiten zufriedenstellend, wenn man mal Vinzent und Vicky außer Acht lässt. Die beiden Alphatiere gerieten schon öfters darüber in Streit, wie das Weingut zu führen und zu vermarkten sei. Am Ende musste James entscheiden, was er hasste, und die Wogen wieder glätten, was ihm weit besser lag.

In den Jahren seiner Abwesenheit war der Konflikt nicht abgeflaut und Vinzents Nebentätigkeit würde eine weitere Eskalation nach sich ziehen. Während James früher noch ewig hin und her überlegt hätte, bevor er sich zu einer Entscheidung durchringen konnte, so brachte er nunmehr unliebsame Entscheidungen rasch hinter sich. Vinzent war ein hervorragender Winzer und Kellermeister, daher traf es sich gut, dass er auch im Dienst des Geheimdienstes stand, als Theodan ihn James unterjubelte. Er hatte, als James verschollen war, aufgedeckt, dass in Glimmerwein Wein vergiftet wurde und verdächtigte Vicky, konnte es aber nicht beweisen. Er wusste natürlich nicht, dass sie dazu von der Gräfin **** wurde. Wenn nicht glücklicherweise genau zu dieser Zeit eine Botschaft von James aus dem hohen Norden Theodan erreicht hätte, die besagte, dass die Baronin eine Namenlose wäre; dann hätte Theodan die Ermittlungen nicht im Sande verlaufen lassen. Vicky erfuhr zwar erst beim Prozess, dass Vinzent sie beobachtet und beinahe überführt hatte, aber James wollte jeglichen Konflikt verhindern, indem er die Zuständigkeiten ein für alle Mal klärte, denn Vicky konnte sehr nachtragend sein. Aber James wollte auch würdigen, dass Vinzent im Kampf gegen das Namenlose auf der richtigen Seite stand, selbst wenn dies Vicky nicht gefallen würde.

“Ich mache Esquiro Vinzent zum mir allein verantwortlichen Verwalter des Weingutes und ich werde ihm gestatten, sein eigenes Haus zu bauen. Er hat es verdient.” Diesen Nachsatz verstand nur Vicky, so wie er gemeint war. Sie war Schauspielerin genug, um sich nichts anmerken zu lassen, aber er war sich sicher, dass er unter vier Augen noch was zu hören bekommen würde.
“Um die Vermarktung seiner Produkte werden wir uns weiterhin kümmern. Ladet ihn heute Mittag zum Essen ein, damit wir dann alles Rechtliche erledigen können.
Ich überlege ernsthaft, ob wir uns nach der Hochzeit nicht einen Vogt einstellen, immerhin haben wir auch noch ein Dorf zu verwalten.”

Lola, Sieglinde und Cusimo gratulierten und wollten natürlich auch gleich wissen, wann die Hochzeit denn stattfinden sollte, Vicky sagte ihnen weder den Termin für die Verlobungsfeier noch Konkretes wegen der Hochzeit.

Vicky hatte seine, für die damaligen Umstände, radikalen gesellschaftlichen und ökonomischen Visionen in seiner Abwesenheit weiter vorangetrieben, ihm aber noch keine Details verraten, um ihn neugierig zu machen. Aber ihm war klar, dass ihn ein paar positive Überraschungen erwarteten und so meinte er es vollkommen ernst als er diesen Satz sagte, den er in den folgenden Wochen noch unzählige Male wiederholen würde: “Wir werden versuchen das, was wir in Glimmerwein angefangen haben, in Feenweide fortzusetzen, jetzt wissen wir ja, wie es geht. Aber lasst uns erst die fünf verfluchten Tage hinter uns bringen”

[Die namenlosen Tage:

Mit den verfluchten Tagen meinte James die fünf Tage am Ende das Jahres, die im Zeichen der Namenlosen Sternenleere (zwischen den Monaten Rahja und Praios) stehen. Bei seiner Verbannung in einem längst vergangenen Eon, konnte der nunmehr namenlose Gott den Kreis der Zwölfgötter an seiner schwächsten Stelle (zwischen Recht und Leidenschaft) teilweise aufbrechen. Diese Lücke im Kosmos wurde zur Namenlosen Sternenleere. Während dieser Tage sind die Zwölfgötter geschwächt und die Macht des Namenlosen bringt Unheil und Alpträume über das Land. Jeder dieser Tage ist einem Dämon, dem Tagesherrscher gewidmet, der die Stimmung des Tages und auch seine Gefahren vorgibt. Daher zieht man sich in dieser Zeit zurück, macht nur Überlebensnotwendiges und versucht sich gegen den Einfluss des jeweiligen Tagesherrschers zu stemmen. Ein neuer Tag beginnt hier jeweils mit dem Zeitpunkt des Sonnenaufgangs und jeder Monat hat 30 Tage, sodass ihnen bis dahin noch dreieinhalb Tage blieben.]

In den letzten Jahren waren diese Tage für die Fünfe immer besonders schlimm; beispielsweise war da letztes Jahr der Kampf gegen die Nachtelfen im hohen Norden oder damals, als Rondriane, von einem Namenlosen beherrscht, die Geliebte der Göttin umbrachte. James und Vicky war zwar nie etwas geschehen, aber es war mehr als nur einmal sehr knapp. So gesehen freute sich James auf ein paar Tage, in denen man sich kaum aus dem Bett bewegen würde. Er war auch nicht unglücklich darüber, dass die anderen Vier nicht in der Nähe waren, denn wenn sie gemeinsam unterwegs waren, zogen sie das Unheil an, wie ein Kadaver die Fliegen.