Das Gespräch wird direkter

„Nadine, so wie ich Sie kenne, habe ich keine Zweifel, dass Ihre Anwesenheit hier um diese Zeit und in dem Aufzug ein Ablenkungsmanöver ist. Und so, wie Sie herumdrucksen, habe ich auch keinen Zweifel, dass bei Frau Müller gerade ein Ablenkungsmanöver im vollen Gange ist. Wenn Sie also nicht wollen, dass ich Sie umgehend achtkantig rausschmeiße, mir Frau Müller schnappe und wir beide dann kontrollieren, ob alle Schülerinnen und Schüler brav in ihren Betten liegen, erzählen Sie mir jetzt, was Sache ist.“

„Wenn ich das tue, schlagen die anderen mich tot!“, antwortet Nadine, und er sieht zu seiner Verwunderung, dass ihr nun Tränen in den Augen stehen.

„Wohl eher mobben sie Sie und grenzen Sie aus“, lautet seine Übersetzung, die Nadine durch ein Nicken bestätigt.

„Das werden sie aber nur, wenn sie erfahren, dass Sie ,gesungen‘ haben.“

„Sie verpetzen mich also nicht?“

„Hab ich nicht vor, kann ich im Moment aber noch nicht versprechen. Ihre einzige Chance, Nadine, ist jetzt, dass sie alles auf den Tisch legen, und ich meine: wirklich alles. Ist das klar?“

Nadine nickt, mühsam die Tränen zurückhaltend und schwer schluckend.

„Nun denn“, setzt Benno Oberländer fort, „was ist mit Frau Müller?“

„Sie hat Sex“, antwortet Nadine tonlos.

„Mit wem?“

„Muss ich den Namen wirklich nennen?“

„Ja.“

Nadine macht einen scharfen Atemzug und sagt dann: „Florian.“

„Und wie wurde das arrangiert? Das wurde es doch?“

„Ähm... ja“, antwortet Nadine zerknirscht, „es ist ja so. Sie kennen ja die Geschichte mit Eveline und Florian.“

„Wer kennt die an der Schule nicht.“

„Eben. Nun, Frau Müller ließ mal die Bemerkung fallen, sie müsse sich Florian doch mal näher anschauen, um nachvollziehen zu können, was Eveline in ihm sieht. Und Florian ist, um es mal so auszudrücken, weiblicher Gesellschaft im Bett nicht unbedingt abgeneigt und hat sich auch mal anmerken lassen, dass Frau Müller ihn sexuell reizen könnte. Und so haben wir die beiden heute Abend verkuppelt, und zwar erfolgreich, wenn man an Frau Müllers Zimmertür lauscht“, sagt Nadine mit einem leichten schüchternen Lächeln.

„Und warum heute?“

„Damit Frau Müller nicht auf die Idee kommt, nach uns in der Nacht zu sehen, falls sie meint, es gebe einen Grund, nach uns zu sehen.“

„Weil sie möglicherweise etwas hören könnte, das ihr dazu Anlass gibt?“

„Ja, möglich.“

„Und wenn sie nachsehen würde, was würde sie vorfinden?“

„Zum Teil leere Betten, zum Teil Betten, die doppelt belegt sind.“

„Kopulierende Pärchen?“

„Ja, könnte man so bezeichnen.“