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Chapter 3

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Rapunzel Z.01

Die Kaninchen stellten ihre langen Ohren auf. Das Geräusch brechender Äste war das erste Anzeichen, dass sich größere Wesen der grünen Lichtung im Schatten des hohen Turmes näherten. Dann zeigten Schläge von Metall auf Holz und das zischende Sausen einer schnellen Klinge, dass es Menschen waren, die sich einen Pfad durch das widerstrebende Unterholz bahnten. Noch ehe das dichte Blattwerk am Waldrand begann, sich zu bewegen, waren die scheuen Nager in ihrem Bau verschwunden.

Eine hochgewachsene Gestalt in grün-brauner, bequem geschnittener Jagdkleidung schob sich durch die breitblättrigen Büsche, sah sich kurz aufmerksam um und ließ dann das Schwert mit der dünnen, scharfen Klinge, das sie in der Hand hielt, mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung in der am Gürtel befestigten Scheide verschwinden. Unter der Kapuze, die ihr Gesicht beschattete, hing ein dicker Zopf heraus, zu dem die glänzenden blonden Haare geflochten waren.

Sie drehte sich zum Waldrand um. Die Stimme, mit der sie einen noch unsichtbaren Nachfolger anrief, gehörte eindeutig einer jungen Frau.

„Nastur, nun mach schon! Wir sind da."

„Warte, Urtica, bin gleich bei dir."

Darauf folgten ein leiser Fluch und das Geräusch eines Körpers, der auf weichen Boden fiel. Nach weiterem Fluchen und Rascheln tauchte eine zweite Gestalt aus dem Gebüsch auf, die der ersten glich, deren Kapuze jedoch vom Kopf gerutscht war, so dass man das Gesicht eines jungen Mannes erkennen konnte, dessen kurz geschnittene Haare die gleiche Farbe wie der Zopf seiner Vorgängerin hatten. Ein Dutzend kecker Sommersprossen verteilte sich über seine Wangen. Mit einem verlegenen Kleine-Jungen-Grinsen wischte sich der Bursche die Hände ab und klopfte Schmutz von Ärmeln und Hosenbeinen.

„Ich bin über eine Wurzel gestolpert", erklärte er entschuldigend.

Ein resigniertes Schnauben erklang unter der Kapuze.

„Sag mir was Neues!"

Die erste Person drehte sich von ihrem jungen Begleiter weg und ein Paar feingliedriger Hände schob ihre Kapuze zurück. Dann hob sie den Blick, um das imposante Bauwerk in der Mitte der Lichtung betrachten zu können.

Es handelte sich tatsächlich um eine junge Frau, deren Züge denen des Mannes, der sich direkt neben sie stellte, so sehr glichen, dass sie eine enge Verwandtschaft nicht ableugnen konnten. Beide waren sie nach objektiven Maßstäben sehr attraktiv. Sie schienen im gleichen Alter zu sein. Und soweit die weite, lockere Kleidung es zuließ, war auch ihre Statur -- bis auf einige naheliegende anatomische Unterschiede - einigermaßen vergleichbar.

„Wow! Hier also haben Vater und Mutter sich kennengelernt."

Ein hoher Turm ragte vor ihnen in den blauen Himmel, mit Mauerwerk, das für die Ewigkeit errichtet zu sein schien. Auf den ersten Blick war nirgends ein Eingang oder eine Öffnung zu erkennen. Nur weit oben, knapp unter dem grauen Schindeldach, war ein Schatten zu erkennen, der ein Fenster hätte sein können.

Während Nastur das Fundament umrundete, trat Urtica näher an die Mauer heran. Sie war ohne Mörtel aus großen Steinquadern zusammengesetzt. Efeu klammerte sich in die Fugen, die Ranken waren hier so dick wie ein Unterarm. Prüfend zog Urtica an ihnen, um die Festigkeit zu testen. Ihr Bruder hatte seine Runde beendet und trat zu ihr.

„Es gibt keine Tür oder sonst einen Zugang. Wie sollen wir reinkommen?"

„Ach, Nastur! Hast du denn gar nie zugehört, wenn Vater uns die Geschichte erzählt hat?"

„Doch, natürlich. Aber ich dachte immer, das mit dem Turm ohne Tür wäre nur eine Übertreibung, damit die Geschichte wie ein Märchen klingt. Spätestens seit ich weiß, wie viel zwanzig Ellen Höhe sind, konnte ich nicht mehr glauben, dass Mutters Haare jemals so lang waren. Hast du etwa alles ernst genommen?"

„Ich war mir nicht sicher, was davon Wahrheit und was ausgedacht war. Deshalb wollte ich es unbedingt mit eigenen Augen sehen. Du nicht?"

„Ja, schon. Ich hätte aber nie gedacht, dass hier wirklich solch ein Turm steht. Wer glaubt denn so was?", kopfschüttelnd trat er einige Schritte zurück und legte den Kopf weit in den Nacken, um das Bauwerk in seiner ganzen Höhe betrachten zu können „Tja, das war's dann wohl. Ohne Leiter kommen wir da nie rauf. Wenigstens können wir sagen, wir sind hier gewesen und haben den Turm gesehen. Machen wir ein Picknick und dann gehen wir zurück."

Er nahm seinen Rucksack ab und sah hinein.

„Hm?", er steckte eine Hand in den Rucksack und tastete sich suchend bis zum Boden durch, „Hm, Urtica? Ich finde den Käse nicht. Hast du den Käse eingepackt? Urtica?!"

Seine Schwester hatte die Riemen ihres eigenen Rucksacks festgezurrt und seinen Sitz zurechtgerückt. Sie stemmte einen Fuß gegen die Mauer und hielt sich an zwei dicken Efeuranken fest.

„Wenn ich oben bin, werfe ich dir ein Seil herab."

„Äh, was?", er starrte seiner Schwester nach, deren Füße bereits auf Höhe seines Kopfes nach Halt zwischen den Steinblöcken suchten, „Urtica, lass das! Das ist viel zu gefährlich, das Fenster ist mindestens zwölf Meter über dem Boden!"

„Nein, kein Problem. Der Efeu hatte Jahrzehnte Zeit, um sich festzuklammern, und er wächst bis ganz nach oben. Siehst du?"

Sie rüttelte noch einmal mit ganzer Kraft an den dicken Trieben und ein Schauer trockener Blätter rieselte auf ihren Bruder herab, der prustend den Kopf schüttelte.

„Aber wer sagt dir, dass er da oben noch genauso stabil ist? Du könntest abstürzen. Komm bitte wieder runter."

Schon wieder hatte Urtica zwei weitere Meter Höhe gewonnen und musste lauter reden, damit er sie verstand. „Hast du etwa Angst?"

Sein „Nein!" kam ein wenig zu schnell und zu laut, um glaubhaft zu sein.

Nastur zog eine Grimasse. Er wollte seiner Schwester gegenüber nicht zugeben, was ihn wirklich bewegte. Auch wenn sie beide gleich alt waren -- nun, genau genommen, war Urtica ein paar Minuten älter als er -- hatte er sich schon immer, seit er so etwas wie Verantwortung empfinden konnte, für sie verantwortlich gefühlt. Seine Erziehung als Mann und Thronfolger legte ihm das nahe. Aber schon kurz darauf hatte er lernen müssen, dass sie es nicht schätzte, wenn irgendjemand versuchen wollte, ihr Vorschriften zu machen, und sei es nur zu ihrem eigenen Schutz.

Seither versuchte er, einfach nur da zu sein, wenn sie mal wieder eine ihrer irren Ideen hatte. Er gab ihr das Gefühl, dass sie die Kontrolle hatte und ihm überlegen war. Es machte ihm nichts aus, dazu vor ihr notfalls den Trottel zu spielen, so lange kein Dritter dabei war. Doch er litt geradezu körperliche Qualen, wenn sie sich in Situationen brachte, in denen er sie beim besten Willen nicht schützen konnte. Bis heute hatte sie seine Fassade nicht durchschaut und hielt ihn für einen Feigling, möglicherweise auch für einen Schwächling.

„Also, dann ist ja alles in Ordnung", höhnte sie von oben herab. Kurz darauf nahm ihre Stimme einen beschwichtigenden Tonfall an: „Nastur! Denk doch mal nach. Das ist vermutlich die aller letzte Chance für uns, diesen Ort zu besuchen. Nächsten Monat werden wir einundzwanzig. Dann übernimmst du die offiziellen Pflichten als Kronprinz und ich kann mich der Tradition gemäß nicht mehr wehren, wenn so ein hergelaufener Königssohn um meine Hand anhält. Wir müssen das jetzt durchziehen."

„Na gut, einverstanden. Aber pass bitte wirklich auf."

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