Es gibt noch Weiteres zu bereden

„Petra hat unsere Scharade übrigens durchschaut“, sagt nun Niklas.

„Weiß ich, hat sie mir auch gesagt. Ich ging aber auch nicht davon aus, sie nachhaltig täuschen zu können. War auch nicht nötig. Ziel war, dass du Riekes Bändchen in die Finger bekommst. Und das hat ja funktioniert.“

„Nadine?“

„Jaaaa???“

Die Geschwister reden sich, wenn sie allein unter sich sind, nie mit dem Vornamen an. Wenn doch, geht es um etwas ganz Bedeutendes.

„Bist du lesbisch?“

„Also, das ist doch wohl ... das glaub ich jetzt nicht ... Gegenfrage: Bist du ernsthaft der Meinung, gestern hier im Haus mit einer Lesbe Geschlechtsverkehr gehabt zu haben?“, entgegnet Nadine offensichtlich sehr verärgert.

„Nein, natürlich nicht ... das war ... wunderschön war das“, stottert Niklas nun, den die heftige Reaktion seiner Schwester überrascht hat.

„Wie kommst du überhaupt darauf?“, will Nadine nun wissen.

„Petra hat da eine Bemerkung fallen lassen ...“

„Ich ahne was! Okay, Brüderchen, Details: Was genau hat sie über mich gesagt? Und lass bloß nichts aus!“

„Okay. Petra sagte, ich solle aufpassen, dass Rieke wirklich in meinem Bett landet und nicht in deinem. Und dass du eine homoerotische Seite habest, so drückte sie sich aus. Mehr wollte sie aber nicht sagen.“

„Echt Petra“, sagt Nadine schallend lachend, „nun denn. Da wir ja ohnehin ein großes Geheimnis seit gestern teilen, kann ich dir nun auch ein weiteres mitteilen. Ich erzähle dir einfach mal die Geschichte, wie sie sich zugetragen hat. Danach darfst du dir gerne deine Meinung bilden, ob ich lesbisch bin oder nicht. Einverstanden?“

„Einverstanden!“

„Okay, hör zu. Du erinnerst dich noch, dass ich auf Simones Geburtstagsparty war?“

„War das die, wo du derart versumpft bist, dass du erst am frühen Nachmittag des kommenden Tages zu Hause eintrafst und die eine gewaltige Standpauke unserer Eltern abholen durftest?“, fragt Niklas grinsend.

„Genau die“, entgegnet Nadine, „und dass ich schon die Tage zuvor nicht gut drauf war, erinnerst du auch noch?“

„Na klar, war das nicht wegen deiner komischen Busbekanntschaft? Hab nie verstanden, warum du dem so lange nachgetrauert hast.“

„Das kann ich dir jetzt sagen. Er war ja ein ganz Lieber, Süßer, schien mir, zuvorkommend, zärtlich, übte nie Druck auf mich aus. Wir gingen ja auch schon eine ganze Weile, ehe ich bereit war, mich von ihm entjungfern zu lassen. Und das hat er ja auch wunderschön gemacht. Tja, aber nur zwölf Stunden nachdem er mich geknackt hatte, sagt er mir mitten ins Gesicht, es würde mit uns beiden nicht passen, und macht Schluss, einfach so, ohne dass er mich dazu irgendwas sagen lässt.“

„Warum hast du mir nichts erzählt, Schwesterherz? Ich hätte ihm Schwanz und Eier abgerissen!“

„Vielleicht hättest du das wirklich. Aber ich hab mich so gedemütigt gefühlt. Mir die Unschuld nehmen und dann fast direkt danach durch die Blume sagen, dass ich total scheiße im Bett war. Missbraucht und weggeworfen hab ich mich gefühlt, als totale Versagerin. Das ist nichts, was man gerne erzählt. Meinen engsten Freundinnen, ja, und Mama auch, die hat ja einen Röntgenblick für so was. Aber nicht dem eigenen Bruder. Zumindest damals nicht. Heute wäre das wohl anders.“