Chapter 8
by Caranthyr
Haut sie tatsächlich ab?
Endlich frei!
Langsam schlug Finja ihre Bettdecke zurück. Wie sollte sie nun unbemerkt raus gelangen - mitten in der Nacht! Einfach zur Tür? Neeee, Mama ließ immer ihre Schlafzimmertür auf, schon beim leisesten Pieps wenn Finja mal aufs Klo musste sagte sie jedes Mal sooo nervig "Schläfst du etwa immer noch nicht?!". Somit schied diese Option definitiv aus! Ihr Blick wanderte in Richtung Fenster. Sollte sie echt runterspringen?? Als wäre sie ein Einbrecher schlich sie auf leisen Sohlen im Dunkeln zum Fenster. Zum Glück waren die Rollläden nicht verschlossen! Im Zeitlupentempo öffnete sie es. Geschafft! Draußen war es ganz ruhig, kein Luftzug wehte - und das in Hamburg! Tief atmete sie die warme Sommernachtluft ein - es war wirklich genau die richtige Nacht zur Flucht. Wenn, dann genau jetzt, oder nie!
Plötzlich fiel ihr ein, dass die Garage ja abgeschlossen war, und genau dort stand ihr Fahrrad - so was Blödes! Der Hafen war mindestens acht Kilometer entfernt, eher zehn! Die ganze Strecke zu Fuß?? So sehr sie auch nachdachte, ihr fiel nichts besseres ein. Vorsichtig schlich sie zurück zum Bett. So geräuschlos wie sie nur konnte leerte sie den Inhalt ihres Rucksacks auf ihre Matratze, bis er leer war. So, was soll da nun rein?? Also das aller wichtigste war ja wohl zweifellos das Collier, das band sie sich gleich mal um den Hals. Auf Platz zwei ihrer Liste kam der Blumenstrauß, gerade eben hatte sie ihn aus dem Rucksack gefischt - im allerbesten Zustand war er ja nicht gerade, aber egal, der musste auf jeden Fall mit.
'Ach jaaa, Papa! Du kommst natürlich auch mit!' Aus ihrer obersten Nachttisch-Schublade holte sie das Foto. Melancholisch betrachtete sie es, an diesen Tag erinnerte sie sich noch genauso, als wäre es gestern passiert. Dieses Foto war nicht nur irgendeines, es war einfach DAS Foto. Auf dem Bild waren Finja und ihr Papa in tiefer Umarmung auf ihrem Bett abgebildet, als sie elf Jahre alt war, damals hatte er schon Krebs. Er starb drei Monate nach der Aufnahme, es war schrecklich! Sie hing doch so sehr an ihm, er war der beste Mensch, den sie jemals kennengelernt hatte, an ihn würde niemals jemand rankommen, so viel war klar! Ganze drei Jahre brauchte sie nach der Beerdigung, bis sie wirklich verstand, dass er einfach nicht mehr da war. Noch immer sprach sie manchmal nachts über das Foto zu ihm. Auf jeden Fall war er im Himmel, darüber bestand für Finja kein Zweifel. Noch einmal betrachtete sie das Foto, leise seufzte sie, 'Oh Papa, wenn du noch da wärst wäre es nie so weit gekommen!'.
Was für Klamotten sollte sie eigentlich mitnehmen?? Am besten wusste das doch ganz sicher Johann, am besten, sie fragt ihn! Es dauerte nur Sekunden, bis er auf ihre Message antwortete, "Komm einfach, wir kaufen dir neue Klamotten, lass den ganzen Scheiß hinter dir. Ich freu mich sooo auf dich!". Augenblicklich strahlte ihr Gesicht wie die Sonne", Cool, mach ich. Ich freu mich auch ganz ganz doll!". Ihren Geldbeutel mit gerade mal fünf Euros, aber vor allem ihrem Ausweis, und natürlich ihr Smartphone schmiss sie einfach rein.
Da fiel ihr auf, dass sie ja noch immer ihr Nachthemd trug - also wirklich, so konnte sie nun wirklich nicht zu ihm gehen. Langsam streifte sie es über ihren Kopf, nun hatte sie nur noch ihren Slip an, doch den behielt sie an. Erst mal einen BH, darüber zog sie ein schwarzes T-Shirt, zum Glück war ihre schwarze Leggings nicht in der Wäsche. Nun war sie komplett schwarz, sogar schwarze Socken fand sie, obwohl sie sonst immer Monstersocken anzog. So war sie so richtig unauffällig, genau richtig für so eine Flucht! Schuhe fand sie leider keine in ihrem Zimmer, es half nichts, sie würde auf Socken gehen müssen. Ihre Haare waren immer noch in Zöpfen ins Haar geflochten, sie hatte ganz vergessen, sie für die Nacht zu öffnen. Umso besser, dachte sie - offene Haare würden sie jetzt nur behindern.
Entschlossen zog sie ihren Rucksack an, ganz fest zog sie ihre Riemen. Als sie mit baumelnden Beinen auf der Fensterbank saß drehte sie sich ein letztes Mal zu ihrem Zimmer um. Jetzt könnte sie noch umkehren, auch wenn es der aller letzte Moment war, sie könnte ganz einfach in ihr Bett steigen, sie könnte schlafen, als ob nichts gewesen wäre. Und dann? Dann wäre sie immer noch ein Baby. 'Nein Mama, ab heute wirst du mich nicht mehr wie deinen Hund behandeln, endlich fängt mein Leben an, raus hier, einfach nur raus!'. Kurz überlegte sie, sollte sie einen Abschiedsbrief schreiben? Neeee, das haben die nicht verdient, beschloss sie. Noch immer kostete es ihr endlos viel Überwindung, warum war das nur so schwer?? Doch dann fasste sie den Entschluss, 'Es ist soweit!'. Sie dachte an Papa, schließlich war er ja nun ein Engel, 'Beschütz mich Papa! Jetzt brauch ich deine Hilfe!', und damit stand ihr Entschluss endgültig fest.
Vorsichtig schaute sie hinab. Tief war das ja schon, warum musste unter ihrem Fenster auch ausgerechnet der bepflasterte Garagenvorhof sein?!? Egal, jetzt galt es. Mit einem Ruck drehte sie sich, nun hing sie mit ausgestreckten Armen an der Hausfassade unter der Fensterbank ihres Zimmers. Gleich darauf ließ sie los, geschickt und geräuschlos wie eine Katze landete sie. Ein wenig schmerzten ihre Füße von der harten Landung ja schon, aber das konnte sie gut aushalten. Kurz hielt sie inne, sog die frische Luft ein - es war eine wirklich laue Sommernacht, richtig angenehm. Alles war still, keine Autos, kein Wind. Noch einmal betrachtete sie das Haus in dieser schicksalhaften Nacht. Dieses Haus starb an dem Tag, als Papa tot war, jetzt war es nur noch ein totes Haus. Entschlossen rappelte sie sich auf; ja, sie hatte es tatsächlich getan! Von hier aus gab es nur noch eine einzige Richtung - weg, einfach weg! Und dann rannte sie - und wie! Die ganze Wohnstraße, und auch noch die nächsten Straßen, einfach auf ihren Socken. Die Straße war warm, und sie war eine Katze, wild und frei! Sie fühlte sich so unendlich erleichtert, immer wieder sprang sie vor Freude mit leisen Juchzern in die Luft.
Schafft sie es bis zu ihrem Prinzen?
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Finjas Weg in die Sklaverei
Hätte sie nur auf Pia gehört!
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