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Chapter 2 by Daemony Daemony

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4 Die Statue

Schwester Dorothee seufzte tief und ließ den Kopf auf ihren Schreibtisch sinken. Als Cellerarin war sie für die Finanzen des Klosters verantwortlich. Und diese Aufgabe ließ sie zunehmend verzweifeln. Es war beileibe nicht so, dass sie die Verantwortung ablehnte oder die damit verbundene Arbeit scheute. Doch mit den geringen zur Verfügung stehenden Mitteln waren die Ausgaben der Gemeinschaft schlichtweg nicht zu decken. Und dabei war die dringend notwendige Ausbesserung des Daches über dem Dormitorium noch nicht einmal eingerechnet. Wir oft hatte sie versucht, mit der Äbtissin über die schwierige finanzielle Situation zu sprechen. Die Obere hatte jedoch keinen besseren Rat für sie, als zu beten und auf die Hilfe des Herrn zu hoffen.

Nein, so konnte es nicht weitergehen. Wenn sie die Ausgaben nicht reduzieren konnte - aus das hatte sie weiß Gott versucht - dann musste sie die Einnahmen erhöhen. Das klang einfach, doch ihr wollte keine Möglichkeit einfallen, die halbwegs erfolgversprechend klang.

Ihr Amt niederzulegen kam für sie auch nicht in Frage. Für einen solchen Schritt war sie viel zu ernsthaft und verantwortungsbewusst. Es musste eine Lösung für das Problem geben!

Sie richtete sich wieder auf, hielt den Rücken gerade und schnaubte entschlossen. Sie würde einen Weg finden. Punktum.

Grübelnd marschierte sie in ihrem kleinen Büro zwischen den weiß verputzten Wänden hin und her. Früher hätte sie ein Gebet gesprochen. Doch so oft schon hatte sie gebetet und um Erlösung für ihr Kloster gebeten. Nur, es hatte nichts an der desolaten Lage geändert. Keine unerwartete Geldquelle tat sich auf, kein großzügiger Spender erschien, keine vergessenen Besitztümer, die sie hätte veräußern können, wurden entdeckt. Auf ein Wunder wollte sie nicht mehr hoffen. Sie musste den Ausweg aus der Misere selbst finden.

Wie hatten es denn ihre Vorgängerinnen geschafft, das Koster zu erhalten? Schließlich existierte die Kongregation bereits seit Jahrhunderten. Und sie hatte nie davon gehört, dass es jemals solche Probleme gegeben hätte, wie die, vor denen sie jetzt stand. Ja, sie hatte nicht davon gehört. Das hieß aber nicht unbedingt, dass es etwas Vergleichbares noch nicht gegeben hätte. Sie schnippte mit den Fingern. Ja, das war es! Generationen von Cellerarinnen hatten säuberlich und gewissenhaft ihre Bücher geführt. Wenn es einen Schlüssel gab, auskömmlich zu wirtschaften, dann mussten ihre Vorgängerinnen diesen aufgeschrieben haben.

Sie machte einen Knicks vor dem Kruzifix an der Wand. Auf ein Dankgebet verzichtete sie hingegen. Stattdessen leistete sie sich in diesem Moment die kleine Sünde des Hochmuts, diese Idee selbst gehabt zu haben, ohne göttliche Eingebung. Sie eilte aus ihrem Büro in Richtung der Treppe, die hinab zu den Archiven führte.

Schwester Dorothee stieg die steinernen Stufen zum Archiv hinunter, ihre Schritte hallten in der Stille wider. Die Luft wurde kühler. Sie hielt kurz inne, ihre Hand auf dem steinernen Geländer, und atmete tief durch. Die schmerzhafte Verspannung in ihren Schultern war noch immer da, doch jetzt war es eine Spannung der Erwartung. Sie hoffte, nein, sie wusste in ihrem Herzen, dass sie hier eine Antwort finden würde. Ein Plan, ein Hinweis darauf, wie ihre Vorgängerinnen mit ähnlichen Krisen umgegangen waren. Sie war entschlossen, pragmatisch und zielgerichtet vorzugehen, wie sie es immer getan hatte.

Sie nestelte den schweren, eisernen Schlüssel unter ihrer Kutte hervor und öffnete die dicke Holztür. Trockene Luft, die nach altem Papier roch, wehte ihr entgegen. Sie knipste das Licht an, das flackernd zum Leben erwachte. Die grauen Wände waren bis hoch zur gewölbten Decke mit Regalen gesäumt, die alte Bücher und Pergamente beherbergten, sorgfältig abgelegt von Generationen von Nonnen, die vor ihr gekommen waren. Angesichts der schieren Menge an schriftlichen Zeugnissen wankte ihre Zuversicht. Wie lange würde sie brauchen, um auch nur die wichtigsten Dokumente zu sichten. Und was, wenn am Ende auch hier keine Lösung zu finden war?

„Gottes Wege sind unergründlich und ihr Ende für uns nicht immer direkt sichtbar,“ hatte die Äbtissin gesagt, doch das reichte Dorothee nicht mehr. Sie konnte und wollte sich nicht allein auf die Vorsehung verlassen. Sie brauchte mehr als Glauben, sie brauchte Taten.

Vor einem massiven Holzregal blieb sie stehen. Die dicken Buchrücken schienen sie anzustarren, wie stille Wächter der Vergangenheit. Auf einem Schild stand in schwungvoller, altertümlicher Schrift: Cellerarinnen-Bücher – Finanzen und Verwaltung. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Das war der Ort, an dem die Erfahrungen und Fehler derer, die vor ihr gekommen waren, auf sie warteten. Sie zog einen schweren Band heraus, sein Einband aus verblasstem, rissigen Leder, und blätterte im funzelnden Schein der Deckenlampe vorsichtig durch die vergilbten Seiten.

Während sie die akribisch geführten Aufzeichnungen las, entdeckte sie, dass das Kloster bereits in früheren Zeiten schwere finanzielle Engpässe durchgestanden hatte. Die Einträge sprachen von Krisen, die durch Hungersnöte, Plünderungen und unvorhersehbare Katastrophen entstanden waren. Immer wieder fanden die Cellerarinnen Wege, durch kluge Maßnahmen oder ungewöhnliche Ideen die Existenz des Klosters zu sichern. Eine Cellerarin aus dem 16. Jahrhundert hatte sich an die Bewohner umliegender Dörfer gewandt und sie erfolgreich zur Mithilfe im Kloster gewonnen. Eine andere hatte Ländereien verpachtet, die für die Nonnen keinen praktischen Nutzen mehr hatten. Dorothee hielt inne und rieb sich die brennenden Augen. Wie lange hatte sie die unzähligen, eng geschriebenen Zeilen schon gelesen? Sie streckte ihren schmerzenden Rücken und lehnte sich müde an das Regal.

War das hier wirklich die Lösung? Die Zeiten hatten sich geändert. Es gab keine Dorfbewohner mehr, die für ihr Seelenheil umsonst arbeiten würden. Und große Ländereien besaß das Kloster schon lange keine mehr.

Zu allem Überfluss flimmerte das Deckenlicht und ein bedrohlich summendes Geräusch wurde immer lauter, bis es mit einem lauten Knall erstarb. Schwester Dorothee machte erschrocken einen Sprung und stand plötzlich im Dunkeln. Na wunderbar, dachte sie, die marode Elektroinstallation hätte ich auch schon längst reparieren lassen sollen.

Blind tastete sie sich zur Tür zurück, wo ihrer Erinnerung nach eine Wandnische mit einer Kerze sein musste. Mit zitternden Fingern entzündete sie ein Streichholz und hielt es an den Docht.

Im unsteten Schein der Flamme sah sie das Buch, das sie vor Schreck hatte fallen lassen, aufgeklappt auf dem Boden liegen. Zu ihrer Überraschung war der spröde, lederne Schutzeinband aufgeplatzt und aus dem Riss ein zusammengefaltetes, abgegriffenes Blatt herausgerutscht. Anscheinend hatte jemand es darin versteckt. Wer und vor wie langer Zeit? Dorothee spürte, wie ihr Puls schneller schlug und ihre Hände feucht wurden. Vielleicht lag hier die Antwort verborgen.

War dies das Wunder, auf das sie nicht mehr zu hoffen gewagt hatte?

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