Sie verschläft und geht nicht zur Schule

Als Gaby am nächsten Morgen aufwacht, stellt sie fest, dass sie verschlafen hat. Am Abend vorher war ihr alles andere durch den Kopf gegangen, als den Weckmodus der Uhr auf ihrem Nachttisch einzuschalten, und auch die Gasteltern haben sie nicht geweckt. Jeff muss immer schon sehr früh raus, aber auch seine halbtags arbeitende Frau hat sich scheinbar nicht um die Austauschschülerin bekümmert. Diese ist nun ganz allein im Haus, vom Hund der **** abgesehen. Sie beschließt, an diesem Tag nicht mehr zur Schule zu gehen. Dabei weiß sie noch nicht genau, wie sie das rechtfertigen können wird, aber vor sich selbst findet sie Rechtfertigung genug – nach den zwei Vergewaltigungen am Vortag wird es wohl berechtigt sein, einen Tag in der Schule zu fehlen.

Und da ist sie wieder, die Wirklichkeit ihrer Erlebnisse am Vortag. Gaby versucht, ihre Gedanken zu sammeln und die Situation einzuschätzen, in die sie geraten ist. Das ist alles andere als einfach.

Eine Handlungsoption für sie wäre ja, sofort zur Polizei zu gehen. Aber was wäre die Folge? Ganz abgesehen von hochnotpeinlichen Befragungen, bliebe für sie schließlich nur die sofortige Rückreise, und der gesamte Aufenthalt in den USA, auf den sie sich so lange vorbereitet hat und für den ihre Eltern einiges Geld locker gemacht haben, wäre dahin. Und wer weiß, ob ihre Eltern wirklich Verständnis hätten oder ob sie am Ende gar glaubten, Gaby hätte die Geschichte vorgeschoben, um zu kaschieren, dass sie schon nach so kurzer Zeit aufgeben wollte.

Zumal es ja durchaus möglich wäre, dass ihr Gastvater völlig unbescholten aus der Sache herauskäme. Gaby hat schon einiges gehört, wie Gerichtsprozesse in den Staaten ablaufen. Sie als Hauptzeugin der Anklage wäre weit weg in Europa. Und Jeff könnte vorbringen, sie, Gaby, hätte ihn sexuell angemacht, gar zum Verkehr aufgefordert. Natürlich kann man das so auslegen, wenn man will, geht es ihr durch den Kopf. Er hat es vor der Tür gehört, wie sie bei ihrer Selbstbefriedigung gestöhnt hat, und damit hat sie sich ganz klar der sexuellen Belästigung schuldig gemacht. Wenn er nun behauptete, sie hätte ihn das absichtlich hören lassen, um ihn scharf zu machen, würde niemand das Gegenteil beweisen können.

Aber was wären die Alternativen? Sie könnte einfach so tun, als sei gar nichts passiert. Doch, so ahnt Gaby, das würde es nicht besser machen. Jeff hatte ja schon angekündigt, von nun an jeden Tag mit ihr… Wahrscheinlich würden seine Zudringlichkeiten immer rabiater werden, und wenn sie nichts dagegen unternimmt, würde er es verständlicherweise als Einverständnis deuten.

Aber vielleicht ist sie gar tatsächlich irgendwie einverstanden? Gaby stellt nämlich in diesem Moment fest, dass sie auf eine nicht sehr geheure Art erregt ist, jetzt, bei dem Gedanken, dass es weitergehen würde. Ja, ihr Orgasmus in der Nacht… Das war so enorm… viel stärker, als alles, was sie bisher von ihrem Körper kannte. Und wenn sie sich die kommende Nacht vorstellt, mit der bangen Frage, ob ES wieder passieren wird, dann ist sie sich nicht ganz sicher, ob sie, wenn NICHTS passierte, neben der Erleichterung nicht ganz insgeheim ein Gefühl der enttäuschten Erwartung verspürte. Ja, da ist auch ein Schuldgefühl gegenüber der Gastmutter, in das sich jedoch andererseits ein gewisser Stolz der Überlegenheit mischt, dass Jeff es lieber mit ihr, Gaby, treibt, während seine Frau nichtsahnend schläft.

So fragt sie sich, was es eigentlich genau ist, das ihr angst macht. – Vor allem eine mögliche Schwangerschaft! Sie möchte sich nicht ihre Zukunft mit einem Baby kaputt machen. Irgendwie muss sie sich schützen. Auf jeden Fall, sicherheitshalber, wie auch immer sich die Dinge entwickeln werden. Aber wie? Wie herankommen an ein Verhütungsmittel, von dem Jeff nichts erfährt?

Während sie sich in der Küche etwas zum Frühstück macht, kommt sie nicht los von ihrer Grübelei, wie es weitergehen soll.