Geschichtsstunde.

Nach einem längeren Marsch erreichten Kyrax und die Amazonen eine Lichtung im Dichten Wald. Hier erhob sich eine Festung aus dunklem Stein. Kyrax, der nun in Gestalt eines dunkelhäutigen Wüstenmannes unterwegs war, konnte auf den Zinnen gut 20 Frauen in den Amazonentypischen knappen Rüstungen sehen. Und einer davon kannte er sogar unauffällig unter den Lederrock schauen.

Im Inneren der Festung herrschte geschäftiges Treiben. Etliche Amazonen gingen hier ihrem Tagewerk in Schmieden, Schreinereien und anderen Geschäften nach. Die Frauen, die keine Kriegerinnen sind, tragen ganz normale Kleidung und es gibt sogar zwei Männer in der Festung. "Ich dachte ihr erlaubt keine Männer hier," meinte Kyrax mit blick auf einen männlichen Steinmetz, der ohne Oberteil an einem großen Steinquader arbeitete. "Doch, wenn sie von Amazonen geboren wurden und bereit sind nach unseren Regeln zu leben," entgegnete die Truppführerin knapp, "außerdem sind wir immer noch Frauen und so ein muskelbepackter Körper kann schon … eine schöne Ablenkung sein."

Der Hauptteil der Festung, in dem die Königin residierte, war im Inneren erstaunlich prachtvoll eingerichtet. Es gab neben Möbeln aus Tropenholz auch ein paar geschmiedete Verzierungen, die eindeutig Beutestücke von Zwergen waren. Am Imposantesten waren aber eine Reihe Gemälde, die immer eine muskelbepackte Frau mit dunkler Haut und dunklen Haaren zeigte. Mal trug sie eine Plattenrüstung und war siegriech in einer Schlacht, mal ein weißes, langes Gewandt und wachte über eine friedliche Idylle.

"Königin Vivianne, die erste Amazone," erklärte die Truppführerin, als ihr an einem Bild vorbeikommt, auf dem vier Könige der Frau in Plattenrüstung zu Füßen liegen, "sie hat unsere Traditionen begründet und unser Volk in die Freiheit geführt. Kein Mann war ihr auf dem Schlachtfeld ebenbürtig. Dieses Bild zeigt ihren heldenhaften Sieg gegen vier Feldherren bei der Schlacht der Redditsch, obwohl ihre Truppen 10 zu 1 unterlegen waren. Aus Gnade lies sie sie am Leben und sie danken es ihr mir Lügen, nach denen sie verloren und vertrieben worden wäre."

"So ein Gewäsch," brummte Kyrax kopfschüttelnd, "es gab nie eine Schlacht von Redditsch, Viviannes Truppen waren massiv unterlegen, aber König Balder handelte dennoch einen Frieden mit ihr aus und verbrachte die Nacht in ihrem Zelt. Viviannes Tochter kam von ihm. Erzherzon Ludenhoff konnte ab da nicht mehr eingreifen, weil er nun die Amazonenkönigin und den König der schwarzen Inseln gegen sich hatte. König Viktor von den Eisernen Bergen hat nicht wirklich an der >Schlacht< teilgenommen, sondern nur seine Grenzen bewacht. Und der vierte Feldherr hat nie existiert, das ist ein Zeichenfehler."

"Deine Lügengeschichten kannst du dir hier sparen," entgegnete eine kalte Stimme vom Ende des Ganges aus. Mit schnellen Schritten kam eine muskulöse Frau in elegantem Gewandt auf Kyrax zu. Sie war die legendäre Amazonenkönigin. Sie war wirklich so schön, wie die Legenden besagten und Kyrax hatte mühe, seine unteren Regionen zu kontrollieren. "Es grenzt schon an Beleidigung, dass du so von meiner Großmutter sprichst," donnerte die Amazonenkönigin, "mit welchem Recht schändest du ihre Legende?"

"Als Gestaltwandler kann ich sehr alt werden, Süße," entgegnete Kyrax frech, "ich war damals dabei. Alle Truppen sind abgezogen ohne dass ein einziger Soldat sterben musste. Aber man hat eure ehemalige Königin und König Balder bis in unser Feldlager gehört. Ich kann euch versichern, das ich weiß, wer wen gezähmt hat."

Statt einer Antwort verpasste die Amazonenkönig Kyrax eine schallende Ohrfeige. "Halt dein lüsternes Maul!" befahl sie wütend, "beweise deine Worte oder wirst diesen Ort nicht lebend verlassen!" Völlig Ruhig zog Kyrax einen kleinen Gegenstand aus seiner Tasche. Eine Mantelbrosche aus Kupfer. "Das hat eure Großmutter nach ihrem >Kampf< im Zelt meines alten Auftraggebers vergessen," meinte Kyrax, "er bat mich damals, sie seiner Tochter zu bringen. Ich schätze, Enkelin geht auch in Ordnung."

Die Amazonenkönigin prüfte die Brosche und verglich sie mit einer identischen auf einem der Gemälde. Dann steckte sie sie wortlos ein und sah mit hochrotem Kopf zu Boden.