Corinnas erste Lektion

Johann stand auf und schritt betont langsam um den Schreibtisch herum, um die Spannung zu erhöhen. Corinna sah ihm entgegen und man konnte erkennen, dass diese Pause in völliger Stille sie nervös machte, wenn nicht sogar ein bisschen ängstlich. Was hatte er vor, fragte sie sich.

Unmittelbar vor ihr blieb er stehen und sah auf sie herab. Er überragte sie um mehr als einen Kopf und hatte die Augenbrauen streng zusammengezogen. In bedrohlich leisem, eisigem Ton zischte er:

„Anscheinend hast du niemals gelernt, dass Disziplin die Voraussetzung für eine Orchestermusikerin ist. Nun, dann fällt wohl mir die Aufgabe zu, dir das beizubringen.“

Sie blinzelte heftig und alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Verunsichert sah sie zu ihm auf, sagte aber kein Wort.

„Ich werde dir jetzt eine Lektion erteilen, die dir hoffentlich im Gedächtnis bleiben und dich immer daran erinnern wird, wer der Chef im Saal ist. Es ist der Dirigent. Und wenn er den Taktstock hebt, dann gilt deine ganze Aufmerksamkeit ihm und du gehorchst jedem seiner Fingerzeige. Ist dir das klar?“

Sie nickte lahm.

„Ist das klar?“, brüllte er ihr ins Gesicht.

„Ja, Maestro“, beeilte sie sich zu antworten.

„Gut,“ sagte er wieder in normalem Tonfall, „dann werden wir hier und jetzt damit beginnen, das einzuüben. Und nun höre gut zu, denn ich sage es nur einmal: Wenn ich auch nur den geringsten Eindruck bekomme, dass du nicht bei der Sache bist, oder wenn du nicht auf der Stelle gehorchst, dann fliegst du in hohem Bogen aus dem Orchester. Hast du verstanden?“

„Ja, Maestro.“

„Und du willst doch Orchestermitglied bleiben, oder?“

„Ganz bestimmt, Maestro.“

„Sehr gut, dann also zu deiner ersten Lektion.“

Er wandte sich zum Schreibtisch und wollte seinen Taktstock aufnehmen, doch dann entschied er sich anders und griff stattdessen nach einem langen, hölzernen Lineal, das dort lag. Dann zog er einen der Besucherstühle in die Mitte des Raums und setzte sich darauf. Die Delinquentin verfolgte jede seiner Bewegungen besorgt und konzentriert.

Er rückte sich auf dem Stuhl zurecht und spreizte ein wenig die Beine, um einen sicheren Stand zu haben. Nachdem er sich so vorbereitet hatte, heftete er seinen Blick auf die wartende Paukistin und klatschte mit der flachen Hand auf seine Oberschenkel.

„Lege dich mit dem Oberkörper hier drauf!“

Sie riss ihre Augen auf und schüttelte den Kopf. Johann legte die Stirn in Falten.

„Anscheinend hast du noch immer nicht verstanden, wer hier der Herr ist. Das ist sehr schade. Denn das heißt wohl, dass ich mir sehr viel mehr Mühe machen muss, dir das Verständnis einzubläuen. KOMM HER!“

Die letzten beiden Worte hatte er geschrien und mit einem lautstarken Schlag auf sein Bein begleitet. Das scharfe Geräusch ließ die Musikerin zusammenzucken. Dann setzte sie sich endlich in Bewegung und kam betreten, mit hängendem Kopf näher.